People, 1. -  3. October 1998
 
Karlheinz Essl
Abstract: Komponieren im Cyberspace.
Das Arbeitsfeld des Kuenstlers spiegelt zu allen Zeiten die jeweiligen gesellschaftlichen und technologischen Zustaende wider. Durch die rasante Entwicklung und die Verfuegbarkeit neuer Technologien und Informationsstrukturen veraendert sich auch der Schaffensbereich des Komponisten: ein Umbruch zeichnet sich ab.
An Hand der eigenen kompositorischen Arbeit soll diese Veraenderung an Hand einiger konkreter Beispiele aufgezeigt werden. Sie beleuchten exemplarische Ausschnitte eines erweiterten Arbeitsfeldes, das sich vom vielbeschworenen "Elfenbeinturm" zu distanzieren versucht.
1) Durch die Dokumentation des jeweiligen Standes der kuenstlerischen Arbeit und der Reflexion darueber im World-Wide Web mutiert der hermetische Vorgang des Komponierens "in splendid isolation" zu einem transparenten Prozess, der fuer jeden einsichtig ist:
http://www.essl.at
2) Neben geschlossene Werke (die als Partituren vorliegen) treten offene Prozesse und Versuchsanordungen, in die andere Musiker und Komponisten interaktiv eingebunden werden. So waere beispielsweise das "work-in-progress" Amazing Maze (1996 ff.) fuer Computer und Live-Musiker ohne das Internet undenkbar:
http://www.essl.at/works/amazing.html
3) Der Cyberspace selbst wird zum Terrain einer sich neu herausbildenden Kunstform (webArt), die die technologischen, formalen und inhaltlichen Moeglichkeiten (und Begrenzungen) des Webs in einer voellig neuartigen Weise mit Inhalten erfuellt, ohne die simple UEbertragung eines alten Mediums in ein neues zu betreiben. In diesem Bereich verschwimmen auch die Grenzen zwischen den einzelnen Kunstformen. Darueber hinaus bietet sich hier die Zusammenarbeit mit KuenstlerInnen aus anderen Sparten an, wie etwa in der multi-medialen Web-Installation MindShipMind (1996-98), die gemeinsam mit der kalifornischen Videokuenstlerin Vibeke Sørensen entstand:
http://www.essl.at/works/mindshipmind.html
4) Neben Partituren, die traditionell ueber Verlage distribuiert werden, entwickeln sich neue Formen musikalischer Notationen, die auf die formalen Moeglichkeiten von HTML-Browsern zugeschnitten sind und deshalb keines herkoemmlichen Notenvertriebs beduerfen, wie Champ d'Action (1998) fuer computer-gesteuertes Ensemble:
http://www.essl.at/works/champ.html
5) Die Absicht, den geschlossenen Werken offene Prozesse entgegenzusetzen, findet seine adaequate Konkretisierung in einer voellig neuen Weise: das musikalische Werk existiert nicht mehr als interpretier- und reproduzierbare Notation, sondern einzig und allein als Software, wie es am Beispiel der unendlichen Lexikon-Sonate (1992 ff.) fuer computer-gesteuertes Klavier dargestellt wird:
http://www.essl.at/works/Lexikon-Sonate.html
Biography: Geboren 1960 in Wien.

Studium an der Wiener Musikhochschule (1981-87): Komposition (Friedrich Cerha), Elektro-Akustische Musik (Dieter Kaufmann), Kontrabass (Heinrich Schneikart).

Studium an der Universitaet Wien (1979-89): Musikwissenschaft und Kunstgeschichte; 1989 Promotion mit einer Dissertation ueber "Das Synthese-Denken bei Anton Webern".

Zunaechst Kontrabassist in verschiedenen Kammermusik- und Jazz-Formationen. Auseinandersetzung mit mittelalterlicher Musik und deren Auffuehrungspraxis. Theoretische und kompositorische Aufarbeitung serieller Denkansaetze. Untersuchungen zur Formalisierbarkeit musikalischer Prozesse (Computer Aided Composition) fuehren zur Entwicklung von Software-"Environments" fuer "Algorithmische Komposition". Veroeffentlichungen zur zeitgenoessischen Kompositionstheorie.

1990-94 "composer in residence" bei den Darmstaedter Ferienkursen fuer Neue Musik. 1992/93 Performance-Projekt "Partikel-Bewegungen" mit Harald Naegeli, dem "Sprayer von Zuerich". 1992/93 Kompositionsprojekt am IRCAM (Paris).

Unterrichtet "Computer Aided Composition" am Studio for Advanced Music and Media Technology des Bruckner-Konservatoriums in Linz. Gastvorlesungen in Graz, Toronto und Kopenhagen. Kuenstlerischer Betreuung der Konzertreihe "Musik im SCHOEMER-HAUS". Neben Instrumentalwerken und Kompositionen mit Live-Elektronik auch Realtime-Kompositionen, Improvisationskonzepte, Klanginstallationen, Internet-Projekte.

Auffuehrungen bei zahlreichen internationalen Musikfestivals, u.a. Wien modern, Musikprotokoll, Ars Musica (Bruessel), Biennale (Zagreb), Presence (Paris), Schoenberg-Festival (Duisburg), Convergence Festival (New London), NEMO '96 (Chicago), Ensemblia (Moenchengladbach), Musica (Strasbourg), ISEA (Chicago), Salzburger Festspiele.

Zusammenarbeit mit Ensembles wie: Arditti Quartet (London), Ensemble Modern (Frankfurt), Klangforum (Wien), Nieuw Ensemble (Amsterdam), Ensemble InterContemporain (Paris), Ensemble 2e2m (Paris), Champ d'Action (Antwerpen), Elision Ensemble (Australien), Radio Symphonieorchester Wien.

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