Gartenlaborarische Gegenwart

(Resümé)

In dem Ferngarten gibt es (abgesehen von dem grossen Roboterarm in seiner Mitte) nichts Besonderes. - Der TeleGarden und die neu Technomythologie. - Die Gärten der Gegenwart. - Der Gartenkosmos und Leibniz. - Der To­pos, die Kultivie­rung. - Rückzugsgarten und die Rahmen. - De natura rerum. - Kampfgarten. - Dem Gärtner geht es wie dem Künstler. - Eine Chassidim-Geschichte. - Die Kulissengarten und eine Robinsonade im Wörlitzer Parksee. - Es wird eine allgemeine Ordnung sicht­bar. - Was uns heute Welt heisst... - Der technologische Garten in Tsukuba. - Wie die Technik den Menschen ihrer umfassende Kontrolle unterstellt hat. - Die Ruhe des plazierten Steines - Zwischen Steinen und Früchten lagern gipsgegossene  und kupfergetriebene Tiere - Der außerordentliche Arrangeur von Gräsern und der Vorgang der Entstehung - Auf dem Rücken liegend.

Ferngarten

In dem Ferngarten gibt es - abgesehen von dem grossen Roboterarm in seiner Mitte - nichts Besonderes: Boden, verschiedene Pflanzen, einige Blumen. Dieser TeleGarden wurde in Kalifornien von Ken Goldberg und seinem Mitarbeiter entworfen, und man kann ihn via Internet besuchen. In den installierten Garten “können die (zur ‘Gartengemeinschaft’ gehörenden) Mitglieder Sätlinge pflanzen, giessen und ihre Entwicklungen verfolgen - alles durch die feinen Bewegungen eines Industrieroboterarms.” Unter den zahlreichen, täglich fünftausend ‘Besuchern’ gibt es viele Ferngärtner, die diesen seltsamen Garten als ihr eigenes empfinden und pflegen. Um gärtnerische Fragen zu besprechen, halten sie oft ‘Dorfversammlungen’, wobei sich eine eigenartige Ferngartengemeinschaft herausgebildet hat. So wurde aus diesem bio/technologisches Werk - laut seiner Hersteller und Würdiger - nicht nur ein ungewöhnlicher Garten, sonder auch “Spiegelbild dieser weltweiten Gemeinschaft”. Im Hinblick auf das gewaltige Interesse scheint die Behauptung richtig zu sein, und der Enthusiasmus zeigt das merkwürdige Spektrum dieses Spiegelbildes: “Durch die Verknüpfung ihres Gartens mit dem World Wide Web und die Schaffung einer intuitiven Schnittstelle zur Kontrolle des Arms und der Kamera - schreibt P. Lunenfeld (Flash Art 1996/3) - , gelang es den Künstlern, etwas, das die meisten Menschen wohl als Fall von Übertechnisierung bezeichnen würden, in eine scharfsinnige Reflexion über die Natur der Gemeinschaft zu verwandeln.”

“Der TeleGarden ist - schwärmt A. Leonard im Wired - Teil des unablässigen Bemühens der Künstler, mit Hilfe der Metapher des Cyberspace die Entwicklungsstufen der Menschheit zu erforschen.”  Und W. Schultz schreibt im Garden Design darüber, dass der TeleGarden dem erfahrenen Gärtner die Möglichkeit bietet, das Wesen des Gärtnerns zu erkunden”.

Daraus ergeben sich für mich, im Praktizieren wie in der Theorie einigermassen erfahrenen Gärtner andere Gedanken. Dieser Ferngarten ist zweifellos “Spiegelbild dieser weltweiten Gemeinschaft”. Die Frage ist nur, wie dieser Kult der Vermittlungstechnologie zur “Natur der Gemeinschaft” und zur Natur selbst, zum Garten steht?

Gartenkosmos

        Überall sind wir von Gärten umgeben. Unter freiem Him­mel nicht minder als zwischen unseren Wortbildern: Land­schaftsgärten, Stadtgärten, Wolkengärten. Aus dem Weltraum zeigt unsere Erde Kontinentalgärten, vom Blau der Ozeane gesäumt. Gleich den mit bloßem Auge nicht mehr zu sehenden Komponenten, den kaum noch wahrnehmbaren, klein­sten Segmenten von Erde und Wasser: "Jedes Stück Natur kann als ein Garten voller Pflanzen und als ein Teich voller Fische aufgefasst werden. Aber jeder Zweig der Pflanze, jedes Glied des Tiers, jeder Tropfen seiner Säfte ist wiederum ein solcher Garten oder ein solcher Teich.”(67) -- schreibt Leibniz in seiner Monadolo­gie. Ebendort heißt es auch: "Und obwohl die zwischen den Pflanzen des Gartens befindliche Erde und Luft oder das zwischen den Fischen des Teichs befindliche Wasser weder Pflanze noch Fisch ist, so enthalten sie deren doch wieder, aber meistens von einer uns unerfassbaren subtiliät." (68)

        So unbegehbar wie die Vielfalt der wirklichen Gärten ist, so unerschöpflich sind auch Kreis und Beziehungsreich­tum der Gärten auf metaphorischen Feldern. Der To­pos Garten reicht vom Eden der biblischen Schöpfungsge­schichte (wo "Gott der Herr pflanzte einen Garten" und "ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen") über den unzugänglichen Garten des Hoheliedes bis zum Garten des himmlischen Jerusalems der Offenbarung mit dem "Strom des lebendigen Wassers" und dem "Baum des Lebens".

        Der Garten ist die vollkommenste Lebensmetapher: der Inbegriff von Sprießen und Entfalten, Wachsen und Früchte­tragen, Welken und Vergehen. Eine gleichzeitig organische und durch die geregelten und gelenkten Prozesse der mensch­lichen Bearbeitung gerahmte Fundgrube des Farbenreichtums, der Formen und Gebilde.

        Der Garten ist auch ein Grundbild jeglicher Kultivie­rung, Gestaltung und Pflege, Formung und Schöpfung. Seine Sinnbild vermag sogar den Garten der "toten Buchstaben" le­bendig zu machen: "Ein Buch ist ein Garten, den man in der Tasche trägt", besagt ein arabisches Sprichwort...

        Zugleich ist der Garten eine Stätte schöpferischer und bewahrender Vorgänge. Schwierigkeiten dürfte Francis Bacon gemeint haben, als er schrieb, daß “die Menschen schneller lernen, prächtig zu bauen, als einen schönen Garten anzulegen: als würde die Gärtnerei die höhere Vollkommenheit bedeuten.” (Über die Gärten, 1625)

Rückzugsgarten

        Der Garten ist ein abgesonderter Ort: ein "ausgezäuntes" Gebiet. (Von "regelmäßiger Abgrenzung" be­richtet Der Rosenroman aus dem 13. Jh.) Seine eingeschränk­te Ausdehnung deutet auch auf die Möglichkeiten und Grenzen der Kultivierung hin. Darauf, daß Planung, Gestaltung und Pflege sich nicht auf die Gesamtheit der umgebenden Natur ausdehnen lassen: Nicht alles kann bearbeitet werden.

        Die Einzäunung des Gartens verweist auf die Proportionen und den Rhythmus von belebter und toter Natur, von der nach höherer Komplexität strebenden Ordnung und dem Zerfall, vom lebendigen Dasein, verweist auf seine insulare Präsenz im Meer des Leblosen.

        Daß der Garten in Rahmen gezwängt, gebettet und sepa­riert ist, veranlaßt den Menschen zu Einsichten, die weit über den Zaun hinausgehen: Dieser Tatbestand verhilft ihm, sowohl die Elementarmaße kennenzulernen, als auch die Rhythmen und Proportionen des Universums erneuert wahrzu­nehmen: Neben den schwellenden Knospen und Trieben dem kos­misch dimensionierten Umlauf der Tage und Monate, Jahre und Jahreszeiten zu folgen. Und darin den eigenen Platz, denn "es ist die Pflanze, die den Menschen über das Zyklische seines Schicksals ahnungsvoll in Kenntnis setzt" (Heidi Paris).

        Bei alledem kann die - durch Aus- und Eingrenzung doppelseitige - Grenzerfahrung auch zur Selbsterkenntnis führen: Der Gärtner wird in einem fort mit seinen Lebensgrundlagen, dem Feld seiner Möglichkeiten und darin den Grenzen seiner Fä­higkeiten konfrontiert: damit, wozu seine Kraft reicht, worauf er wann seine Aufmerksamkeit zu lenken hat, wie er seine Tätigkeit planen soll und wie weit er seine Kompetenz ausdehnen kann; woher und wohin ein Rückzug begründet ist.

        So schafft die begrenzte Ausdehnung des Gartens auch ein Übungsgelände für Konzentration und Selbstbeschränkung.

Zaungarten

        "Am Anfang steht der Zaun", schreibt der Etymologe Jost Trier. In fast allen europäischen Sprachen verweist die Herkunft des Wortes Garten auf Einhegung, Eingeschlos­senheit.  Wer einen Garten anlegt, beginnt damit, ihn abzu­grenzen und einzuzäunen, denn nur eingefriedetes, durch Be­grenzung eingeschränktes Gelände kann geschützt und bewirt­schaftet werden. Davon kündet auch die ursprüngliche Bedeu­tung des aus dem Persischen stammenden Wortes Paradies (pardez): "eingezäunter Hain". Durch die Abgrenzung läßt sich das Wilde der Welt, die chaotisch wuchernde Vegetation fernhalten, die äußere und die innere Natur trennen und in Ordnung halten, ihre Kultursichern. (Das he­bräische Wort für Garten - gan - stammt von gánan = behü­ten, beschützen.)

        Ein Zaun kann greifbar sein, unüberwindlich scheinen oder auch nur andeutungsweise existieren. Doch selbst ein imaginärer Zaun verfügt mitunter über mehr Ordnungskraft als etwa eine Mauer. Dies verdeutlicht das griechische Wort für Gesetz (nomos), das in Ausdrücken wie Einhegung des Weidelandes, Regulierung des Weidens und Herausbildung der Weideordnung wurzelt. Nomos zeigt nicht nur Verwandtschaft mit Nomade, sondern auch mit den Worten nemein (weiden, Weideland aufteilen) und nemus (/heiliger/ Hain).

        Zäune können gemauert, gebaut oder geflochten werden. Doch am ehesten mit der Natur im Einklang steht die - zwar Geduld erfordernde, aber dauerhafteste und schwerer zu durchdringende - lebendige Einfassung: eine Hecke aus dicht gepflanzten Bäumen, Sträuchern, Büschen. (Die ausführlichste Beschreibung dazu lieferte im 14. Jh. der Gelehrte Pietro de Crescenzi aus Bologna in Ruralia Commodora.) Aber selbst der vermeintlich undurchdringlichste Zaun ist nicht imstan­de, die Umgebung, die sichtbare oder auch unsichtbare Au­ßenwelt völlig aus dem Garten zu verbannen. Nicht nur, weil es nicht möglich ist, unüberwindbare Mau­ern, undurchdringliche Zäune anzufertigen, sondern weil der Garten "von Haus aus" offen ist; seine Pflanzen brauchen das Licht und die Wärme der Sonne, die Nährstoffe und das belebende Wasser der Erde (die Gärten der geschlossenen Innenräume nicht minder als die unter freiem Himmel, wenn auch indirekt, mittelbar, ‘künstlich’ versorgt).

        Im Freilandgarten können sich Störenfriede aus dem Erdreich ebenso leicht einstellen wie unverhoffter Besuch aus der Luft. Erstere eventuell als Wasserader, die Beete unterspült, Wurzelwerk von Lianen, die unter dem Zaun ein­dringen, zähes Unkraut oder kleinere Nagetiere. Obwohl zum Beispiel die gärtnerische Tätigkeit von Maulwürfen auch Ge­fallen findet; in Bacons Essay heißt es, daß “ihm die winzi­gen, an Maulwurfhügel erinnernden Häufchen willkommen seien”... (Was beiläufig schlußfolgern läßt, daß sich sein Garten-Verhältnis, ähnlich wie bei den meisten seiner Gar­tenschriftsteller-Kollegen, auf bloße Betrachtungen be­schränkte und er der erleuchtenden Kraft aktivitätsbeding­ter Erfahrungen entbehrte...)

Klostergarten

        Wie die spezifische Doppelheit des Gartens, seine Ab­grenzung von der Umgebung und seine Konzentriertheit, aber auch seine kosmische Offenheit, seine gleichermaßen greif­baren und bildlichen, beschwerlichen und beschaulichen Re­flexionen ausgearbeitet und summiert wurden, illustrieren die westlichen Klostergärten.

        "Die klösterliche Welt ist grundsätzlich eine inner­lich abgeschlossene. Die symbolische Darstellung dieses Bruchs mit der Welt, der das religiöse Leben kennzeichnet, ist das Kloster. Es ist ein Winkel der Natur, jedoch iso­liert. Seine bauliche Gestalt zeigt, daß es nach einer Vollendung strebt, die die Welt nicht mehr kennt", schreibt George Duby.

        Auch den Klostergarten sind Inselartig­keit und Isolation von Anbeginn ein betonter Grundzug: Isi­dorius Hispanensis (um 600 Bischof von Sevilla) fordert in De natura rerum, daß der Klostergarten nur durch ein Ge­bäude zugänglich sei.

        Ebenso akzentuiert ist seine symbolische Auffassung von den gärtnerischen Tätigkeiten und von den verschiede­nen Aspekten des Gartens und der Gartenpflanzen. Im rhyth­mischen Wechsel von Bebauung und Betrachtung des Kloster­gartens wurde das Grundprinzip des westlichen Mönchtums Realität, formuliert vom heiligen Benedikt: Ora et labora!, bete und arbeite.

        Diese Praxis von Arbeit und Kontemplation im Wechsel und als gegenseitige Ergänzung brachte eine Naturauffassung mit sich, die die natürliche Ganzheit nicht nach Aspekten und Bereichen der Verwertung zerlegte. In den Klostergärten waren Zier- und Nutzgarten nicht getrennt. Man unterschied nicht nach Verwendung, Symbolik oder "Ästhetik" der Pflan­zen. "Rosen und Lilien wurden ihres Heilwertes und ihres Duftes, ihrer magischen Kräfte und ihrer Schönheit wegen gepflanzt", schreibt der Gartenhistoriker Dieter Hennebo.

        Die Kontemplation von Gartenpflanzen ist schon früh dokumentiert. Der heilige Gregor von Tour erwähnt anno 580 in Vitae Patrum den heiligen Monegundis als jemanden, der in die Betrachtung des Gartens neben sei­ner Zelle versunken sei. Anders als in der Antike dient der Garten im Mittelalter "der handwerkenden Tätigkeit und al­lenfalls der Kontemplation. Die Gartenneigung wird mit em­siger Tätigkeit verknüpft, ja fast durch sie entschuldigt" (Hennebo).

Kampfgarten

        Einen Garten anzulegen und zu pflegen, ist mit Mühsal, ja Kampf verbunden. Er muß wirrer Vegetation oder öder Steppe entrungen werden und kann an jeder Stelle erneut verwildern. Gleichzeitig entschädigen die Anstrengungen bei seiner Gestaltung mit anderswo nicht erlebbaren Erfahrungen und Erkenntnissen. Der Wechsel der Jahreszeiten und der Gang der Jahre zeigen im Garten einen jeweils anderen Zei­tenschnitt. Die Wachstumsphasen, das Aufbrechen der Knospen von heute auf morgen, das Jahr für Jahr sich wiederholende Sprie­ßen und Verwelken des Laubes, das Erstarken der Äste und Stämme über Jahrzehnte vergegenwärtigen die flüchtigen Zeitläufte nicht nur, sondern machen sie fühlbar; kürzere und längere Rhythmen, eine natürliche Gliederung: die Ordnung der Zeit.

        Gartenarbeit im Takt der Jahreszeiten und Witterungen bedeutet intensivsten Kontakt mit den Naturvorgängen. Sie kann sein Therapie für Leib und Seele. Durch die Anstrengungen empfindet man stärker, daß Körper und Erde zusammengehören, so wie man hinterher auch Muße und Entspannung tiefer aus­kosten kann.

        Die Kunst des Gartenbaus liegt in der Zwiefalt und Harmonie von Arbeit und Betrachtung, Kultivation und Kon­templation. Man könnte sagen: Dem Gärtner geht es wie dem Künstler - er ist der erste und berufenste Betrachter sei­nes Werkes. Wenn diese doppelte, komplementäre Annäherung fehlt, kann der Garten zu einem Objekt fleißiger Dekorati­ons- oder Produktionspraktiken beziehungsweise schöngeisti­ger Träumerei oder funktionalistischer "Rekreation" verkommen.

        Eine Chassidim-Geschichte erzählt von einem Mann, der am Sabbat durch seinen Garten wandelt und beim Anblick eines Obstbaumes beschließt, ihn am nächsten Tag zurückzu­schneiden. Doch anderntags ist der Baum bereits vertrock­net. Es geht um die Heilighaltung des sibten Tages und das Kip­pen der auf Aktivität verzichtenden Kontemplation. Um jenen Punkt, da die Betrachtung umschlägt in verwertende Erwä­gung, rationale Planung, in einen Ausgangspunkt für prakti­sche Aufgaben. Vermutlich hat auch der Wunsch nach Vermei­dung einer solchen Situation zur Herausbildung der Arbeits­teilung im Kloster beigetragen, in deren Verlauf die Be­trachtung (und die geistige Arbeit) vom Gartenbau (und der körperlichen Arbeit) getrennt und letzterer dann anderen übertragen wurde.

Kulissengarten

        Bei der später entstehenden außerklösterlichen (adligen und bürgerlichen) Gartenkultur taucht der ur­sprüngliche Zusammenhang von Bearbeitung und Betrachtung kaum noch auf. Es wird unterschiedenen zwischen Kreation und Kultivierung, Kontemplation und Theorie des Gartens. (Das spiegelt sich vornehmlich in der Garten­literatur wider, die - mittlerweile ganze Bibliotheken fül­lend - seit dem Mittelalter sukzessive in zwei Teile zer­fiel: Die eine Richtung beschränkt sich auf verschiedene botanische und technische Beschreibungen des Gartens, wäh­rend die andere einschlägige Entwürfe, literarische Schil­derungen und Theorien enthält.) Welten trennen die Projek­tierer und Auftraggeber (und künftigen Besucher) von den bearbeitenden Ausführenden (späteren Pflegern, Gärtnern).

        In der Renaissance kehrt mit dem Neopaganismus das Konzept der antiken Landschaftsideale zurück. Auf die Be­liebigkeit im Geiste der antikisierenden Eklektik folgt die Eigenmächtigkeit der Naturgestaltung. Gartennymphen geben neben der kalten Geometrie zentralistischer Machtrepräsentation ein Stelldichein. Die Rationalität der "von einem höheren Gesichtspunkt" betrachteten und entworfenen französischen Gärten zerbricht an den organischen Komponenten der Natur, entartet zu bloßer Dekoration und absurder Parodie. Die vertikal gestutzten Bäume von Versailles und Schönbrunn bilden das architektonische Bühnenbild eines surrealen Schauspiels, reflektieren als Kulissen die Innenwelt ihrer Planer und Auftraggeber.

        Im 18. Jahrhundert weicht die scharf geschliffene Geo­metrie sanft gelösten Landschaftsgärten. Die nostalgische Naturauffassung der Frühromantik suchte in den Bildern der fernen und unverdorbenen Vergangenheit nach einem Ausweg. (Ein spezifisches Gedächtnismal ihrer Robinsonade ist die Rousseau-Insel im Wörlitzer Parksee.) Derartige englische Landschaftsgärten unterscheiden sich im Grunde dadurch von den früheren Anlagen, daß hier die Grenzen verschwimmen. Ihren Schöpfern ging es darum, die Differenzen zwischen Na­türlichem und Künstlichem, Ruine und Kunstruine, Vergangen­heit und Gegenwart, Garten und Umwelt zu beseitigen. Der Garten hebt sich nicht von der umgebenden Landschaft ab, sondern geht in ihr auf. Es gibt keine exakten Grenzen, ge­raden Linien, unendlichen Weitblicke - nur Seen, Haine, Grotten, Einsiedeleien, Venus-Tempelchen, exotische Pflan­zen sowie Plätze und Gelegenheiten, dem Fernweh zu frönen.

Inselgarten

        Trotz aller Schönheit ist der englische Garten irre­führend. Der in ihm manifestierte Ästhetismus, der die ganze Welt nach den eigenen Idealen verschönern möchte, trügt gerade in bezug auf seine Beschaffenheit: Durch die scheinbare Verdeckung der Grenze zwischen dem Garten und seiner Umgebung weckt er die Illusion, sich auf alles zu erstrecken. Dabei ist jeder Garten eine Insel im Meer der Natur. (Die radikalste Konsequenz dieser Einsicht zog Fran­cesco Colonna, der seinen idealen Renaissance-Garten zu einer insularen Utopie ausbaute und auf die imaginäre Insel Kythera übertrug.)

        Die Gesamtheit der Gärten - ob sie Quadratkilometer oder Quadratzentimeter messen - wird vom Weltenmeer um­spült. Das symbolisiert paradoxerweise die Quelle oder der Brunnen des Klostergartens und der in den meisten Gärten vorkommende Teich: als nach außen verweisendes Zeichen, um die inverse Proportion und Präsenz der Inselhaftigkeit an­zudeuten.

        Die Isolation des Gartens ist zugleich Voraussetzung für seine Gestaltung und Erhaltung: für seine Ordnung. Nur Absonderung und Anordnung schaffen die Bedingungen für Wachstum und Fortbestand der ausgewählten Pflanzengemein­schaft. Ihnen ist es zu verdanken, daß im Laufe der langen Entwicklungsgeschichte von Beobachtung und Gestaltung, Pflege und Kultivierung jene Pflanzen veredelt wurden, die heute in unseren Gärten blühen.

        Die Begrenztheit und Überblickbarkeit, die sich aus dem Inselhaften des Gartens ergeben, gestatten durch dieWachstumsordnung der Pflanzen auch Einblicke in andere Ord­nungen: "Künstlich eingegrenzt und in diesen Grenzen ver­einfacht und gesteigert, wird eine allgemeine Ordnung sicht­bar, die immer schon da ist. Die Ordnung ist universell, aber nur notdürftig beschränkt, das heißt eingezäunt und begrenzt ist sie zu erkennen und aufrechtzuerhalten", schreibt Hannes Böhringer im Zusammenhang mit der Architektur, aber für den Garten hat seine Feststellung noch mehr Gültigkeit.

Computergarten

Durch das Verbreiten der Agrartechnologien wurden bisher unbrauchbare Territorien wie Sümpfe und Wüsten, meistens mit Monokulturen bebaut. Gleichzeitig ‘Vergärtet’ der Landschaftsschutz Gegenden,  die als Erhabene gelten. Ganze Regionen werden eingezäunt, zu ‘Naturschutzgebiete’ und ‘Nationalparks’verwandelt. Die bis dahin unberührte Natur, die physis wird, wie nicht nur ein ‘Naturvolk’, ins Reservat zurückgedrängt. Dadurch wird sie aufsuchbar, wie ein Tiergarten. Die so isolierten Orte sind nicht nur durch ihren Zaun von der Aussenwelt getrennt, sondern durch ein mächtiges, nicht einfach durchschaubares Gebilde eingefasst. “Was uns heute Welt heisst - schreibt Heidegger in seiner Griechischen Reisebeschreibung Aufenthalte - ,  ist das unübersehbare Gewirr einer technischen Apparatur von Information, das sich vor die unversehrliche physis gestellt und ihre Stelle besetzt hat, in ihrem Funktionieren nur noch rechnerisch zugänglich und lenkbar.”

Die konsequenteste Erweiterung dieser Entwicklung zeigen die Gärten der computergenerierten Bildwelten. In den jenseitigen Monitorenparadiesen gedeihen phantastische virtuelle Vegetationen: Knospen sprossen, Wiesen wachsen, Blumen blühen auf und schliessen sich, zwischen ihnen fliegen Libellen und Schmetterlinge herum. Neben den immer perfekter werdenden Kunstblumen weist dieser digitale Lebendigkeitsdekor schon auf eine Zukunft, wo die fehlende Artenvielfalt lückenlos mit computergenerierte Künstlichkeit ersetzt wird.

Austellungsgarten

Der technologische Garten in Tsukuba, der im Rahmen der dort stattgefundene Weltaustellung verwirklicht wurde, liess die zweidimensionale Bilderwelt hinter sich. Die im Zusammenschrumpfen von Naturgebilden immer schon fortgeschrittenen Japaner gingen diesmal noch ein Schritt weiter: zwischen den Kunstblumen und Kunsttoffbäumen zwitscherten schon künstliche Vögel. Wie ein europäischer Besucher dieses elektronischen Eldorados bemerkte “Tsukuba war die Materialisierung und Zurschaustellung des Heideggerschen Traums vom dialektischen Umschlag. Das Ganze war, ein wenig überspitzt formuliert, Heideggers Traum in einer Adaptation Walt Disneys.” (Jean Baudrillard)

Der so wirklichgewordene Traum ist jedoch ein Alptraum: in der schlimmsten Version verwirklichte heideggersche Wissenschaft- und Technikphilosophie, wo sich die Technosphäre hermetisch um den Menschen schliesst und die ganze Konstellation der (natürlichen) Lebensbedingungen hinter dem ‘Gestell’ verschwindet. Selbst Baudrillard ist der Meinung, dass “die Technik den Menschen ihrer umfassenden Kontrolle unterstellt hat, und im selben Atemzug möchte man glauben machen, dass dies alles nicht so schlimm sei, und dass man sich mit dieser Kontrolle abfinden könne.”

Die Entwicklungsgeschichte der Technik, wie die Evolutionsgeschichte des Menschen weist in diese Richtung. Ist man mit dem Fortschritt auf diesem Gebiet zufrieden oder von den Vorgängen erschrocken, findet man sich damit vorläufig ab. Aber die Lebensbedingungen betreffenden Herausforderungen wachsen ständig. So kann das Fortkommen in der Umhüllungen der Technologien kein e selbstvergessene Spielerei sein. Im Gegenteil, es benötigt grosse Nüchternheit und Distanz. “Das erfordert - wie Paul Virilio, wacher Analytiker der Technologien, formuliert - die Distanz, die Abweichung aufrechtzuerhalten, und sie sehr weit, bis hin zur wesentlichen Frage fortzusetzen, zurückzukommen auf unsere Identität als Sterbliche, auf unseren Status als Zeit-Bewohner, eine Frage also, die nicht nur auf Reichtum, Raum und Orte beschränkt bleibt.”

Zum Bedenken solcher Fragen und zur Kontemplation der sich auftuenden Perspektiven bieten gerade die - von der Technologien unversehrten - Gärten den richtigen Ort.

Steingarten

        "Seit etlichen Jahren habe ich in New York einen gro­ßen Innengarten. Ich besitze jetzt schon mehr als zweihun­dert verschiedene Pflanzen, dazwischen kleine und große Steine, die ich von Reisen mitgebracht oder nach Auswahl in situ mit dem Auto aus New River, Virginia, herangeschleppt habe. Obwohl ich in jungen Jahren außerstande war, mit Skulpturen zusammen zu leben, bemerke ich mittlerweile, daß ich die Unbeweglichkeit und die Ruhe des plazierten Steines mag", erklärte John Cage in seinem Vortrag in Tokyo. Zur Ge­staltung seines Innengartens inspirierte ihn neben dem Zen-Buddhismus auch Besuche in Zen-Gärten. Der zen-buddhi­stische Steingarten des Insellandes kann als Komplement des christlichen Klostergartens angesehen werden. Hinter seiner hohen Steinmauer befindet sich zum Großteil leblose Natur: Den überwiegenden Teil seiner Oberfläche bedecken wellenar­tig arrangierte Steinchen. An einigen Stellen zeigt das Steinmeer das Muster eines Strudel, wobei sich zwischen den kreis­förmigen Steinwellen Felsen erheben. Auf ihnen grünen die Pflanzen der Zen-Gärten: Moose und Flechten.

        Über der leeren, homogen wellengefurchten Ebene öffnen sich kosmische Rollfelder der Kontemplation. Die konzentri­schen Krümmungen vergegenwärtigen gleichsam das Bild der Sternsysteme und Spiralnebel, die Felsen das der Himmels­körper. Zwischen den quadratisch ausgebauten Rahmen des Steingartens werden die Dimensionen des Universums wahr­nehmbar: das spärliche Grün des organischen Lebens im Steinmeer des Leblosen.

Innengarten

Innengärten können von einer anderen Inspiration herrühren. Der Garten, dem ich Tag für Tag als erstes be­gegne, ist daumengroß. Meine sechsjährige Tochter hat ihn auf einem Glasdeckel angelegt. Aus seiner ‘Erde’ ragen Schneckenhäuser, dazwischen ein Stengel mit flockigen Sa­menständen - die vertrockneten Reste einer Blume, wie wir sie vor einem Jahr am Ufer des nahen Sees gepflückt haben. So ist dieser Garten auch ein Garten der Andenken, der persönlichen Erin­nerungen, des Zusammengehörens. Aller­dings benetzt ihn kein Regen, und auch die Sonne entlockt ihm keine neuen Blüten. Einen Wandel erfährt er nur durch wechselnde Beleuchtung und Veränderungen in seiner Umge­bung. Gehört er doch, auf meinem Schreibtisch, zu einem größeren, etwa zwei mal zwei Spannen messenden Garten, an dessen ständiger "Kultivierung", Umgestaltung und Mehrung auch meine andere Tochter teilnimmt. Dies ist ein wahrer Wildgarten: Zwischen Steinen und Früchten lagern gipsgegossene  und kupfergetriebene Tiere (überragt - bis sie zusammenbrach - von einer gesprenkelten Knete-Giraffe). Neben einem größeren ‘Faustkeil’, einem Kalkstein mit Pflanzenabdruck, neben Gesteinen und Kieseln gibt es eine Kastanie, eine Nuß­schale, einen Kerzenstummel, ein Stück Birkenrinde, ein ge­häkeltes Nest, einen Weidenkranz mit einem winzigen, ver­beulten Globus in der Mitte, Schneckenhäuschen und Muschel­schalen. (Hier beschränken sich meine gärtnerischen Oblie­genheiten auf das "Jäten": Der von Zeit zu Zeit mit neuen Tieren, Steinen oder Schalen erweiterte Komplex muß manch­mal gelichtet, seine Expansion "im Rahmen" gehalten werden, zudem gilt es ihn von zerfallenen, sich zersetzenden oder zerbrochenen Elementen zu befreien.)

        Dieser Innengarten verweist auch auf den Garten jen­seits meines Fensters, dessen Gestaltung, Betrachtung und Bearbeitung mich veranlaßte, vorliegende Zeilen zu verfas­sen. Verglichen mit dem Garten von draußen ist der von drinnen eher bildhaft, während der andere lebt: eine mit ihren der Erde entwachsenden, dem Himmel zustrebenden Pflanzen derart organische Erschaffung und Entstehung, die bis in die kleinsten Einzelheiten vollkommen ist und mitun­ter nicht zu übertreffende Blumen der Perfektion sprießen läßt.

Genetischer Garten

        Der Garten ist Wachstum, Ernte und Ergebnis, Formel jeder Entstehung und Erschaffung, Metapher von Kultivierung und Kunst, wobei sich menschliche Kreation und schöpferische Kreativität begegnen, sich verzweigen und zusammentreffen. Wo der eine die Schaffung der Schöpfung des anderen studie­ren, voranbringen und nachahmen kann. Wo sich schwer ver­gessen läßt, daß im Garten "die Natur der Meister sein muss, während der Besitzer der Lehrling und der Lehrling beim Meister zu Besuch"  ist, schreibt Luis G. Le Roy, ein niederländischer Künstler. Wo einer von beiden offenkundig immer mit vorhandener Materie arbeitet. Wie ja auch der Künstler die bildlichen Blumen seines Gartens - seine Welten - auf dem Boden der Welt, auf der Basis von Eigenkörper entfal­tet.

        Über diesen keineswegs zu unterschätzenden Unterschied und die damit zusammenhängenden Trugschlußerscheinungen schreibt Wittgenstein in seinen Vermischten Bemerkungen: "Ich habe mich oft dabei ertappt, wenn ich ein Bild entwe­der richtig hatte rahmen lassen oder in die richtige Umge­bung gehangen hatte, so stolz zu sein, als hätte ich einen kleinen Teil davon gemalt. Es ist so, als würde der außerordentliche Arrangeur von Gräsern am Schluß denken, daß er doch wenigstens ein ganz winziges Gräschen selbst erzeugt habe. Während er sich klar sein muß, daß der Vorgang der Entstehung auch des winzigsten und schäbigsten Gräschens ihm gänzlich fremd und unbekannt ist."

Himmelgarten

Der Garten ist gastfreundlich: ermüdet durch die Arbeit oder durch die Betrachtungen darin, kann man im Grase lagern. Auf dem Bauch oder auf dem Rücken liegend eröffnen sich neue Aussichten: aus solcher Nähe tun sich neue Grössenordnungen der Gärten voll von Pflanzen und Teichen der Tauperle auf. (Dieser Maßtabwechsel kann nebenbei auch zu unseren persöhnlichen Anfänge zurückführen, wo wir noch etwas näher zum Boden waren oder uns leichter darauf niederliessen wie als Erwachsene...)

Auf dem Rücken liegend können wir in den Himmel, beim Tageslicht in seine unerschöpfliche Bläue, auf seine Wolkengarten oder mit dem Abend auf seine aufblühenden Sternenblumen sehen. Da fassen die Berge, Bäume oder Gebäude unser Sichtfeld in Rahmen. So umkreisen die irdischen Formen das Unendliche des Himmels.

Als wir einmal mit meiner Familie auf der Wiese in der Nähe spazierten, die übrigens als Flugplatz für Segelflugzeuge dient, legten wir uns Kopf zu Kopf nieder. Seit dem nennen wir dies ‘Familienstern” und wiederholen es von Zeit zu Zeit. So liegend und den Himmel betrachtend ist es besonders offenkundig, dass wir immer schon im Garten der Welt sind: nahe zueinander und doch offen gegenüber allem Fernen.

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