Die sichtbare "unsichtbare Hand".
Oder über einige Bilder von Gábor Gerhes
Von J. A. Tillmann
Die großformatigen
Exponate von Gábor Gerhes haben gleichermaßen Verwandtschaft
mit Porträtgemälden und mit Soziofotos. Sämtliche Aufnahmen
zeigen Männer und Frauen, die sich, der Tatsache ihrer Ablichtung
anscheinend bewußt, aufmerksam dem Fotografen zuwenden. Dennoch
herrscht nicht unbedingt Atelieratmosphäre. Auf jedem Bild ist
ein Manager zu sehen, in seinem Milieu, vor oder hinter dem Schreibtisch,
zwischen Computer und Telefon, mit Geschäftspartnern und/oder
Klienten (Personen- und Firmenname sind den Unterschriften zu entnehmen.)
Hier wird die Welt der Arbeit dargestellt, ähnlich wie in den
Berufszyklen der zwanziger Jahre mit Kaufleuten, Eisenarbeitern oder
Fleischern im typischen Umfeld ihrer Tätigkeit. Doch die Arbeitsplätze
der Geschäftsleute unterscheiden sich auffallend von den traditionellen
Bereichen, denn das, womit sie sich beschäftigen - das eigentliche
Geschäft - ist nicht zu sehen. Natürlich kann man das nicht
Gerhes anlasten, die Dinge haben sich halt so entwickelt. Der heute
nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial und geistig so maßgebliche
Markt hat sich von Straßen und Plätzen in einen bildlichen
und virtuellen Raum verlagert. Die wirklichen Märkte (vom Bauernmarkt
über Markthallen und Läden bis zu Mustermessen) wickeln
nur noch einen Bruchteil des Handels und Geldverkehrs ab. Die Warenbörsen
sind ebenso durch Kommunikationskanäle verbunden wie die Kaufleute,
und sie alle sind vernetzt - im Internet.
Bei dieser "Tarnkappe" des Marktes handelt es sich nicht
nur um eine technologische Entwicklungsstufe. Das Verschwinden des
Schauplatzes von Waren- und Geldgeschäften steht im Einklang
mit einem Charakteristikum der in diesen Kreisen dominanten Kraft,
der "unsichtbaren Hand" (Adam Smith). Über diese, mit
absoluter Regulierungsmacht ausgestattete Figur des Gründungsvaters
der modernen Wirtschaftslehre und über den Ursprung der Lehre
lieferte die neueste Forschung eine aufschlußreiche Entdeckung:
Wie H. Ch. Binswanger in einer Studie seines 1998 in München
verlegten Buches "Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen"
schreibt, war für Smith' Wirtschaftstheorie ein hellenistisches
Glaubenskonzept von gravierender Bedeutung. Von hier stammt die "unsichtbare
Hand", eine Schlüsselkategorie aus der "Theorie der
ethischen Gefühle", die bis heute eine zentrale Rolle in
der Wirtschaftslehre spielt. Der höhere Faktor, der berufen ist,
den sämtlichen Teilnehmern des Marktes gestatteten Egoismus zu
regulieren und dem Gemeinwohl zukommen zu lassen, ist laut der von
Smith vertretenen paganistischen Religiosität keineswegs metaphorisch
zu verstehen. Er erwähnt zwar nicht, zu wem diese sonderbare
"Hand" gehören könnte, doch die fast wörtlich
zitierte antike Quelle verdeutlicht, daß er Zeus-Jupiter aus
dem griechisch-römischen Pantheon meint.
Freilich braucht man nicht allzu tief in Wirtschaftslehre oder Philologie
einzutauchen, um die sakrale Färbung der Geschäftssphäre,
des Geld/Markt-Mediums zu erkennen. Man denke nur an die rundum entstandenen
Kulte, die unter den öffentlichen Gebäuden hervorstechenden
Gold-Marmor-Tempel oder das derzeitige "Mysterium aller Mysterien",
das Bankgeheimnis. Natürlich ist die heutige Mythologie, gleich
jeder anderen Mythenwelt, für Zeitgenossen selbstverständlich,
und nur die allerkritischsten Geister sind zur mythenfreien Anschauung
fähig. Bei dieser verzückten, auf Geld und Reichtum fixierten
Religiosität sprechen Analytiker nicht ohne Grund vom "Fundamentalismus
des Westens". Allerdings wird das nicht nur von Soziologen, sondern
auch von Künstlern wahrgenommen. Miklós Erdély
ist zum Beispiel bei seinem ersten Paris-Besuch der Geldkult aufgefallen.
In einem Gespräch erinnerte er sich später, daß dort
"eine ins Unterbewußtsein gesickerte Kraft die Ereignisse
organisiert" und alle Menschen "wie nach ungeschriebenen
Regeln von einem Faden gezogen" schienen. Die Gründe dafür
sah er darin, daß "das Geld im Westen viel tiefer im Nervensystem"
verankert sei als er das von seiner Heimat kannte. "Die Macht
des Geldes steuert die ganze Sache" nicht nur im alltäglichen
Leben, sondern auch im künstlerischen Milieu. Diesen Kult des
Geldes empfand er als "eine Art Fetischismus". (Miklós
Peternák: Gespräch mit Miklós Erdély im
Frühjahr 1983, Argus 5/1991)
Auch Gábor Gerhes deckt in seiner Ausstellung die Besonderheiten
dieses Mediums auf. Für mich sind auf den Bildern vor allem die
Bruchlinien, die Grenzlinien des unpersönlichen Kraftfeldes zwischen
den Personen augenfällig. Jene feinen Grenzen und kaum wahrnehmbaren
Abgrenzungen, die die Dargestellten voneinander trennen. Hier gibt
es keinerlei Anzeichen für innige Kontaktsysteme wie auf Familienfotos
und auch keine Kohäsion wie durch gemeinsame Identität bei
Gruppenaufnahmen. Geschäftspartner und Klientel bilden weder
Gemeinschaften noch Gruppen. Ihre Begegnungen beruhen auf gelegentlichen
oder zeitweiligen Beziehungen, in deren Mittelpunkt das Geschäft
steht. Das Geschäft selbst, ohne jeden Inhalt, als reiner Eigennutz
- wie der neoliberale Wirtschaftstheoretiker Milton Friedman formulierte:
"The business of business is business..."
Neben den sichtbaren Partnern ist überdies, und zwar determinierend,
eine dritte Partei präsent: die Kunst. Dies wirft nicht zuletzt
die Frage auf, inwiefern das Geschäft wohl Partner und Kunde
der Kunst ist. Hierbei geht es nicht darum, wie liebenswert Kunst
und Kunstgewerbe nach anfänglichen Schwierigkeiten imstande sind,
der Nachfrage des neubürgerlichen Mittelmaßes auch auf
den ungarischen (Markt)Plätzen marktkonform entgegenzukommen.
Den Handwerkern der Kunst bereitet es keine große Mühe,
vermeintliche und tatsächliche "Ansprüche" wie
am Fließband zu befriedigen. Überall gibt es mit Talent
gesegnete Künstler, die tonnenweise aufgebauschte Fetzen jugendlicher
Inventionen, Unmengen technisch oder handwerklich vervielfältigter
Nichtigkeiten liefern können. Die Bevorzugung des geringeren
Widerstandes, die zunehmende Leere der sich wiederholenden Motive
und ihr Wandel zur Manier treffen sich mit der Logik von Logos und
Marken.
In diesem Relationsgefüge lautet die Frage aller Fragen: Inwieweit
ist die Kunst fähig, bei ihren Begegnungen mit den verschiedenen
"Partnern" auf ihre Grenzen zu reflektieren? Wie kann sie
Abstand halten, die Saugkraft anderer Medien - Geschäftssphären,
neuer Technologien, Modetrends und Diskurse - abwehren? (Während
sie in deren direkter Nähe sein muß - auch um sie im Auge
zu behalten, schon wegen ihrer Manöver...) In dieses komplexe
Kontaktsystem gewährte Gábor Gerhes mit seiner Ausstellung
einen Einblick.