Inter Media
J.A. Tillmann

Seitdem ich für Studenten des Intermedia Faches an der Kunsthochschule Vorträge halte, habe ich mir oft die Frage gestellt, was diese Benennung nennt. Was bedeutet es wahrhaft, zwischen Medien zu sein? Wo liegt dieser metaphorische oder tatsächliche Ort, auf den sich diese Wendung bezieht? Welche auswirkungen hat es wenn man sich zwischen Medien bewegt? Wohin führt die sinnbildliche Ortsveränderung, die man durch Gebrauch der Intermedien erfährt?
Und dann auch andere Fragen: Welche Annäherungen oder Verfahrensweisen folgen aus der intermedialen Position? Welche Distanz ist dabei wünschenswert? Kann man überhaupt jenen Bereich im Universum der technischen Medien bezeichnen, der zwischen ihnen aufzufinden wäre?
Beim heutigen Stand der Mediatisiertheit betreffen diese Fragen fast Alles und alle von uns. Das immer dichter werdende Weltnetz der technischen Medien betrifft nicht nur ihre Bediener, sondern uns alle. (Obwohl diese Begegnung vorläufig noch nicht unter die Haut geht, hat sie schon merkwürdig grossen Einfluss auf die Prozesse innerhalb der Köpfe.) In dieser Hinsicht bietet die Kunst weit über ihren Bereich hinaus gültige Belehrungen. Die Begegnung mit den neuen Technologien, die Herausforderung durch die Intermedialität ist daher unausweichliche Aufgabe.
        Inter media benennt für mich jenen sinnbildlichen Ort, von dem reflexiver, wie auch schöpferischer Geist ausgeht, und wohin er zurückkehrt. Durch die damit zusammenhängenden Probleme sind Kunst und Philosophie, wie auch alle anderen Geistesgebiete betroffen. Die Intermedialität lässt sich so als das Paradigma aller geistigen Tätigkeit höherer Zusammensetzung betrachten. Dadurch stellen sich die Fragen der Annäherung an die Medien, des Verkehrens mit ihnen, wie auch des Abstandhaltens von ihnen.
        Die Begegnung mit den neuen Medien wird irgendwann für einen jeden unvermeidlich sein. Es ist schon deswegen ratsam auf sie zuzugehen. So erfährt man weniger überrascht die Verfahrensweisen wie auch die Aesthetik der neuen technischen Bildgestaltung. Wie auch die Tatsache, dass durch die Verbreitung dieser Medien die Veränderung der Bildwelt, der Bewegungsformen, und dadurch grosse Regionen der Wahrnehmung, der Sprache, der Metaphorik vorangeschritten ist. All diese Vorgänge lassen die "tradionelle Technologien" und Medien nicht unberührt.
Das Wahrnehmen und Erforschen der Neuen Medien ist auch unerlässlich, um von ihnen Distanz zu gewinnen, um ihre Herausforderungen handhaben zu können. Eventuell auf die Weise, wie es die Multimedia-Künstlerin Laurie Anderson vorführt. Obwohl sie in ihren Arbeiten viele der neuesten Technologien verwendet, führt dies nicht zu einer Dominanz; eher wird dadurch die Diskrepanz offenbar. Das zeigt sich nicht nur in ihrer Kunst; es ist bei ihr eine bewusste Strategie: "ich wollte immer die Situation unter Kontrolle halten - sagt sie in einem Interview - ; darum gebrauche ich die Technik, um sie zu kritisieren. Ich kontrolliere vollständig meine Beziehung zur Technik. Ich bin prinzipiell sehr neugierig auf die vielen Möglichkeiten die in diesen Geräten stecken, und weil ich alles über sie lernen wollte, habe ich sie in der Vergangenheit häufig benutzt. Heute weiss ich viel mehr über diese Maschienen - unter anderem, sie weniger zu benutzen."
Distanz kann man von der Technik auf verschiedene Weise halten. Exemplarisch war es bei Vilém Flusser, dem Theoretiker des "Universums des technischen Bildes", der nie eine enge Beziehung zu den neuen Technologien hatte und höchstens mit Schreibmaschiene schrieb. Als anderes Beispiel kann der Science-Fiction Autor, William Gibson erwähnt werden, der trotz der Cyberpunk-Welt seiner Neuromancer-Trilogie, waehrend des schreibens nicht einmal einen Computer bediente...
Man fühlt eher ein mildes Pathos der Distanz, wenn man viele der früheren "neuen Technologien" dieses Jahrhunderts betrachtet. Dann wird das unglaublich schnelle Verstauben dieser Medien augenfällig. Die Beispiele im Bereich der sogenannten elektronischen Musik oder Computergraphik sind unzählig. Gegenbeispiele sind gering. Ihr gemeinsames Kennzeichen ist, dass sie - aus theoretischen oder gar asketischen Bedenken, auch manchmal die "Not zur Tugend" machend, als aesthtetisches Prinzip auffassend - von den aktuell gültig scheinenden High Tech-Fortschritt Abstand halten. Eventuell sogar auf frühere, hinterlassene (z.B. handwerkliche) Techniken zurückgreifen.
All dies hat Folgen für jene Kunst, die sich auf "Neue Technologien" gründet, von denen sich nicht leicht absehen lässt: in geistiger wie in existenzieller Hinsicht liefert sich der Künstler der Macht- und Geschäftslogik der technischen Entwicklung aus. Das heisst, dass er neben den Betreiben der Kunstindustrie sich den Entwicklungsingenieuren der militärtechnischen Korporationen und den Managern der transnationalen Gesellschaften unterordnet. Die durch sie gesteuerte technische Sphäre bestimmt nicht nur die Geschwindigkeit der Innovationen, sondern auch die Hierarchie der Werte: schöner und besser wird jenes Werk, welches mit der vollkommenere Technologie von Morgen hergestellt wird. Nach den Ideologen der "Neuen Technologie" kann das Spiel nur in diese Richtung laufen: so schreibt z. B. Derrick de Kerckhove: "Die hauptsächliche Funktion der Kunst besteht nicht etwa darin, lediglich zu unterhalten, oder zu dekorieren, sondern die psychologische Standard-Interpretation der Wirklichkeit an die tatsächlichen Konsequenzen technischer Innovationen anzupassen." Was u.a. bedeutet, dass sich die Wertung der Kunst an die technisch umgedeutete Temporalität anpasst.
Mit den "Neuen Technologien" taucht auch ein Problem neuen Typs auf. Zwar werden durch den interaktiven Gebrauch des Computers breite Möglichkeiten eröffnet, doch ergibt sich bei dem Gebrauch der "alten Technologien" schon eine Interaktivität, die während der unmittelbaren Berührung zwischen Künstler und Stoff seiner Tätigkeit entsteht. Diese fehlt in den neuen, interaktiven Medien. Mit seiner Bewegung "spricht" sozusagen der Künstler einen Stoff an, mit seiner kreativen Geste regt er ein Zwiegespräch an. Und er erhielt Antwort auf seine Anregung. Dieses Element des Dialogs ist unerlässlich für jede schöpferische Kunst. "Die Zwiesprache mit der Natur bleibt für den Künstler Conditio sine qua non." - schreibt Paul Klee in seinen Wegen des Naturstudiums. Deswegen ist auch ein Kunstwerk mehr als ein blosses Aussführen seines Konzepts. Der Künstler hat so das innerste Interesse am Verwirklichen, am Prozess der Bearbeitung: wegen dass dabei entstehenden Widerstands, der neue Lösungen fordert, wegen der eventuellen Anregungen, die sich während des Prozesses ergeben.
Diese ergeben sich übrigens nicht nur bei künstlerischen Arbeit: Wenn wir etwas ausführen, erkennen wir anders und Anderes, als wenn wir planend Konzipieren oder, wenn wir zurückblickend das Ausgeführte betrachten. Richtung und Intensität des Interesses, die Körperhaltung ist anders, überhaupt verschieden ist die Natur der Betroffenheit. In der Mitte der Aufmerksamkeit steht das, was auszuführen, was zu tun ist - mitsamt dem komplexem Gewebe, das die unmittelbare Umgebung, das Medium, der Stoff, seine Komponenten, etc bilden. In der Arbeit nämlich nimmt mein ganzes Wesen teil. Mein Körper, der die Tat vollbringt, bildet zwischen dem Kreis der Bearbeitung und der dabei aktivierten Nervenbahnen eine dynamische Brücke. In dem sogenannten ICH stellt sich eine relative Pause ein; dessen grösster Teil siedelt sich in dem Bezugssystem des Körpers und der Bearbeitung an; es begibt sich ins Spiel der Wirkungen und Rückwirkungen. Es vibriert in jener Spalte, die sich zwischen Subjekt und Objekt öffnet. Bei physischen Formen lässt sich dieser Zustand dadurch erkennen, dass der innere Monolog fast stillsteht. Nur einige Wörter tauchen langsam um den Cursor des Bewusstseins auf, während die weitgehend stummen Hirnteile und die untergeordneten Körpergebiete ihre Sache tun.
        Der Verwender der Neuen Technologien muss auf diese unmittelbare Verbindung (und auf die damit zusammenhängenden Erfahrungen) verzichten, wodurch er die Kräfte des Zusammenspiels unzähliger Widerstände und Zufälle vermisst. Dies ist nicht nur meine Annahme, auch die Aussichten der Forschung weisen auch in diese Richtung: "Gegenwärtig wird am meisten am Kraft-Feedback für den ganzen Körper gearbeitet. - sagt der NASA-Wissenschaftler Scott Fischer - Aber das wird vielleicht ein Problem, das wir nicht werden lösen können." So müssen wir von dem Benutzer der Neuen interaktiven Medien annehmen, dass er sich weiterhin auf den User-Flächen bewegen wird.
Trotzdem schreitet die technische Mediatisierung fort, und durchdringt schon fast alles: sie taucht überall, in den innersten Beziehungen, in den eigensten Träumen auf. Die Metapher "Medium" hat dadurch allgemeine Gültigkeit gewonnen. Als Folge lässt sich alles als Medium erkennen. Dies aber führt, trotz der weitgehenden Modernität, zu einer uralten Erkenntnis: zur Einsicht in die unerschöpfliche Bedeutungsfülle und Komplexität der Welt. Durch die Neuen Technologien zeigt sich all das in bis dahin unbekannten Zügen und Zusammensetzungen, was uns immer schon umgibt. Paradoxerweise steckt darin das absolut Neue der neuen technischen Medien. So betrachtet erscheint alles als Medium. (Inklusive unser eigene Körper.) Dadurch gelangen wir zu den verwickelsten philosophischen, kosmologischen und theologischen Fragen, die uns die Sachlage des Universums stellt. Da wird dann nicht nur zu fragen sein: was die Message der Natur ist, und wie sie zu dechiffrieren ist?
Es stellen sich dann auch die Fragen: Was wird durch uns mediatisiert? Wessen Medien sind wir selbst? Und wie sollen wir die Formen des Marmors und der Sternenbilder deuten? Was bedeuten die Bäume, und wie sind die über uns wegziehend Wolkenfetzen zu verstehen...?
Nach dem Kosmologen John A. Wheeler ist die tiefste Einsicht der Quantenmechanik, dass die Realität durch jene Fragen bestimmt wird, die an sie gerichtet werden. Etwas anders formulierte der ungarische Philosoph Lajos Szabó:: Was zum Zeichen wird, hängt vom Niveau unserer Empfindlichkeit ab.
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