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Georges Schlocker

Literatur - eine Goldgrube

 

Traditionellerweise steht Frankreich im Ruf eines Literatursüchtigen Landes.In der Tat dient Literatur in Frankreich nach jahrhundertealtem Brauch in stârkerem Masse als Konverationsstoff, spielt also eine bedeutungsvoll verbindende Rolle im Umgang der Gesellschaft. Pferdezucht und Pferderennen mögen die Briten auf Trab halten, Romanerfindung und vor allem ihre sprachliche Umsetzung passionieren demgegenüber die Franzosen. ,

 

 

Der Preisrummel

Zu dem Rummel um die grossen französischen Literaturpreise gehört auch ihre Schmähung in der Öffentlichkeit. Die Medien verlästern sie regelmässig, wenn jedoch der November anbricht und jeden Montag ein anderer Roman gekrönt wird, dann stehen sie ertwartungsvoll mit Notizblock, Mikrophon oder Fernsehkamera vor dem Restaurant, in dem die Preisrichter zu Mitttag speisen und dabei ihren Entscheid fallen.

Um 13 Uhr, also genau zur Zeit der Mittagsnachrichten, wird der Name des jeweiligen Preisträgers verkündet. Das hört sich an wie die Rangliste eines Pferderennens. Mitgeteilt wird in der Tat nicht nur der Name des Auserwählten, sondern ebenso die hinter ihm Zweit- oder Drittplazierten samt Angabe ihrer Stimmenzahl. Auf diese Weise wird dem Publikum offengelegt, wie die Mehrheits-verhältnisse unter den jeweils zehn Preisrichtern aussahen. Die Bauchbinde, die wenige Tage später die betreffenden Romane ziert, führt die erhaltene Stimmenzahl ebenfalls an.

Fünf Stunden nach der Siegerverkündigung trifft sich "ganz Paris" beim Verleger des Preisträgers, der seine Gäste mit Häppchen und Champagner bewirtet.

Eine solche Feier, wieviel immer sie kostet, zahlt sich unmittelbar aus in Form von good will, haben doch Verleger und Autor durch die Preiszuerkennung das grosse Los gezogen. Sie erfreuen sie sich einer tagelangen Kommentierung in den Medien. Auf der ersten Seite der Zeitungen wie dem "Figaro" oder dem "Monde" ist mindestens eine Spalte dem ins Licht gestellten Buch gewidmet. Die Literatur macht damit als öffentliches Phänomen ebensolches Aufsehen wie die Politik. Das ganze Land hatte ja bereits Wochen zuvor den Listen mit Buchtiteln, die die Preisrichter veröffentlichten, Aufmerksamkeit geschenkt. Gut und gern vierhundert Romane bringen die französischen Verleger im Hinblick auf die Prämierungen zum Jahresende auf den Markt. Sechs davon werden schliesslich ausgezeichnet und damit dem Augenmerk eines breiten Publikum nachhaltig empfohlen.

Der Preis der "Alten Dame"

Ausserhalb des Preisrummels und eine Woche vor ihm verleiht die Académie française ihren "Grossen Romanpreis" , aber so werbewirksam wie ein Goncourt- oder Renaudotpreis ist der Lorbeerkranz der "Unsterblichen" nicht. Wen die "alte Dame", wie die Académie respektlos tituliert wird, mit Ruhm bedeckt, der hat bei den anderen Preisen keine Chance mehr. Und da der Akademie immer ein konservativer Geruch anhaftet, kann der Autor auch nicht mit vergleichbaren Buchhandelserfolgen rechnen. (Grand Prix de l'Académie française: Pascal Quignard :Terrasse á Rome. " Gallimard. Paris).

Traditionellerweise steht Frankreich im Ruf eines literatursüchtiges Lan-des. In der Tat dient Literatur in Frankreich nach jahrhundertealtem Brauch in stärkerem Masse als Konversationsstoff, spielt also eine bedeutungsvoll verbin-dende Rolle im Umgang der Gesellschaft. Pferdezucht und Pferderennen mögen die Briten auf Trab halten, Romanerfindung und vor allem ihre sprachliche Umsetzung passionieren demgegenüber die Franzosen. Bedenkt man das unver-brüchliche Interesse der Leser in Frankreich an jeder Art von literarischer Äusserung, versteht man Mallarmés Ausspruch: "Die Welt ist dazu ausersehen, in ein Buch einzugehen“.

In der Tat hat keine Demystifizierung die Leser bislang abgehalten, den gekrönten Romanen im Herbst untreu zu werden. Immer wieder lästerte die Presse, daß es sich bei dieser Buchauszeichnung um ein Geschäft erster Grösse handle, dass die Preise dazu dienten, ein allgemein anerkanntes Weihnachts-geschenk zu benennen. Jahre lang verteilten die Preisrichter, die sich selbst aus Schriftstellern und Kritikern rekrutieren ihre Auszeichnungen an Autoren mehrheitlich aus immer denselben drei oder vier Pariser Verlagen, in denen sie selbst publizieren. Preiswürdig waren und sind heute noch Bücher etwa aus dem "Stall" Gallimard, Le Seuil, Grasset. Da in den verschiedenen Jurys Autoren Einsitz nehmen, die in diesen Häusern publizieren,lässt sich ein Interessenkonflikt wohl kaum vermeiden und die Annahme fällt schwer, dass dabei eine Hand nicht die andere wäscht,

Ein abgekartetes Spiel, was die Auszeichnung der Verlage betrifft, seien die Literaturpreise, mit solchen Worten prangert denn auch immer häufiger die Presse dieses Verfahren an. Sie weist darauf hin, daß selten einem Aussenseiter-verlag wie vor einigen Jahren Albin Michel oder die "Editions de Minuit" diese Ehre oder besser ein solcher geschäftlicher Volltreffer zu teil wird. Trifft das aber dennoch zu, dann entspringt die Wahl einem Alibiwunsch

Der Goncourt-Preis

Der Goncourt-Preis liefert ein treffendes Beispiel für die Umfunktionier-ung der literarischen Zielsetzungen. Die Brüder Goncourt trachteten um die Jahr-hundertwende, mit ihrem Preis ein unbekanntes Talent zu fördern. Als jedoch vor ein paar Jahren Marguerite Duras, längst schon in die Literaturgeschichte ein-gegangen, für ihren Roman "Der Liebhaber" prämiert wurde, gab es keinen Zwei-fel mehr, dass der ursprüngliche "Entdeckerpreis" diese Funktion aufgegeben hatte. Die Preise entlarvten sich selber als Marketingantrieb. Ein Goncourt bringt ohne besondere Werbeanstrengung des betreffenden Verlags einen Absatz von vierhunderttausend Exemplaren mit sich. Mit annähernd ebensoviel kann der Preisträger des Femina-Preises rechnen. Was den Médicis-Preis anlangt, schwan-ken die Auflagen, doch sinken sie kaum unter zweihunderttausend.

Damit ist bereits angedeutet, daß die französische Literaturpreise Gefahr laufen, einem Konformismus innerhalb der Leserschaft Vorschub zu leisten, den sie bei ihrer Schöpfung zu bekämpfen vorgaben. Kritische Beobachter argwöh-nen nicht zu unrecht, bei der Abfassung ihrer Romane könnten Autoren in Hand-lung und Stil bereits auf die unausgesprochenen Vorlieben der Preisrichter ab-zielen. Eine stilkritische Untersuchung der neuerdings im Buchhandel als Kass-ette vorrätige Gesamtausgabe aller bisherigen Goncourtpreise könnte Früchte tragen.

Den diesjahrigen GONCOURT bekam Jean-Jacques Schuhl für seinen Roman "Ingrid Caven".. Der über sechzigjährige Autor, der rund zwanzig Jahre geschwiegen hatte, legt eine Lebensbeschreibung der Schlagersängerin Caven vor, die mit Rainer Werner Fassbinder verheiratet war. Schuhl ist ein schätzenswerter Autor, für den die im Text beschriebene den Effekt berechnende Konfektionshaltung nicht zutrifft. Diese Ernsthaftigkeit sowohl der Recherche wie des Stils hat ihm einhelliges Lob der Kritik eingetragen. Man muss aber auch die unzerstörbare Neigung des französischen Publikums für deutsche Schauspieler und Chanson-sängerinnen in Rechnung setzen. Die Entwicklung Ingrid Cravens, von der behinderten, fast blinden, von unbezähmbarer Vitalität strotzenden jungen Schauspielerin zum Star von Film und Cabaret gibt ein Romanthema erster Güte ab.

Der Femina-Preis

Welche Rezepte bei der Fabrikation eines Buches zur Anwendung kom-men, das die betuchten Damen des Pariser Westens verführen und den Femina-preis davontragen könnte, das glauben Auguren voraussagen zu können. Camille Laurens überreichten sie diesen Herbst die Palme. Sie liefert dafür ein gutes Beispiel. Sprachliche Eleganz verbunden mit leichtem Einstieg in die Identifikation mit den auftretenden Personen sind in der Tat die gute Voraussetzung eines "Femina-Buches". Verrät der Titel der diesjährigen Preisträgerin Dans ces bras-la (In diesen Armen ) bereits das Prinzip autobiographischer Erlebnisabfolge mit Vertretern des männlichen Geschlechts, die an der Hauptperson vorbeidefilieren, dann kitzelt die angedeutete erotische Perspektive im Leser die Bereitschaft mitzugehen und teilzuhaben.

Ein Medicis-Buch

Ein "Medicis-Buch" verrät demgegenüber eher zeitbezogenes Problembewusstsein; es sind ja auch jüngere, nennen wir sie: denkfreudige Juroren am Werk. Sie haben diesen Herbst Michel Ondaatjes " Le fantôme d' Anil (Gespenst von Anil) prämiert, die Erzählung der Rückkehr des Autors nach Sri-lanka, seine Heimat, zwecks Aufklärung "aussergerichtlicher Exekutionen" . Ondaatje ist in Europa seit langem aufgeschlossenen Lesern bekannt, ein französischer Autor ist er mitnichten. An ihm kann man eine Neuerung ablesen, der sich Femina wie Medicispreis seit einer Reihe von Jahren hingeben: Sie krönen in einer speziellen Rubrik ausländische Bücher, denen stärkere Beachtung seitens des französischen Publikums zu wünschen ist. Umsatzinteressen treten dabei zurück: die Preisrichter urteilen in diesem Fall nicht als Verfechter von Verlagsstrategien, sondern von sachbezogenen Interessen. Summa summarum: wo das Romanverfassen ein nationaler Sport ist, da liegt in Paris im Spätherbst für eine Handvoll ausgesuchter Schreiber eine Goldgrube bereit.

Der Goncourtpreis der Gymnasiasten

Den Routineveranstaltungen der berufsmäßigen Literaturhuber gegenüber, die Geschäftsinteressen im Auge haben, regt sich jedoch seit ein paar Jahren im Land tätiger Einspruch, dessen Reichweite noch schwer abzuschätzen ist. So unterließ keine Zeitung die Nennung des „Goncourtpreises der Gymnasiasten“, der zur selben Stunde am selben Tag verliehen wird, ( wie der originelle Goncourt) an dem die Medien im Zentrum von Paris zur Verkündigung der offiziellen Auszeichnung zusammenströmen.

Der „Gegen-Goncourt“ kehrt der Hauptstadt den Rücken. Er wird in Rennes proklamiert und zwar von Gymnasiasten, denen die Freude an Literatur ins Gesicht geschrieben ist. Geschäftliche Gesichtspunkte lassen sie kalt, Vetternwirtschaft ist ihre Angelegenheit nicht.

In 52 Gymnasien quer durchs Land hindurch lesen Schüler die Romane, die auf der durch die Presse bekanntgemachten offiziellen Auswahl der Académie Goncourt figurieren. Zur Anstachelung der Lesefreudigkeit des Publikums geben in der Tat seit einer Reihe von Jahren die Pariser Preisrichter Auswahllisten der preiswürdigen Bücher heraus. In letzter Zeit gab es bei der Preisverleihung sechs Monate später praktisch keine Abweichungen von der Liste der vorausgewählten Autoren. Vierzehn Juroren zwischen fünfzehn und siebzehn Jahren sprechen für die Schar ihrer lesenden Altersgenossen in den Gymnasien; sie fällen schließlich ein Urteil und bestimmen das Buch, das ihnen für die heutige Lage besonders treffend scheint und dessen Lektüre Ihnen Freude machte.)

Schauplatz ist Afrika, wo bereits Heranwachsende mit der Kalaschnikow umgehen und töten, als wäre es nichts. Die jungen Leute sind praktisch alle Waisen. Mit einem Sinn für makabren Humor wird die einzige Aussicht zu überleben beschrieben: der Krieg, von dem einzig zu hoffen ist, dass die jungen Leute ihm nicht erliegen. Aus leicht verständlicher Möglichkeit der Identifikation sprachen die Gymnasiasten den "Gegen-Goncourt" diesem Buch  Allahn'est pas obligé ( Allah muss nicht) von Ahmadou Kourouma zu, (Verlag Le Seuil) zu, das vorher schon den .Renaudot Preis erhielt.

Eine solche landesweite Parallelhandlung bedarf finanzieller Unter-stützung, die seit zwei Jahren von der FNAC, einer Großhandlung für Photo-apparate, Elektronik und Bücher den Gymnasiasten gewährt wird. Der Sponsor will damit sich eine oppositionelle Rolle innerhalb des offiziellen Kulturbetriebs zulegen, des Non-Konformisten also, der das Nicht-Landläufige fördert und damit sich ins Bewußtsein der Leser als Vorkämpfer des „anderen Buches“ einschreibt. Mit ganzseitigen Inseraten in der überregionalen Presse posaunt sie diese Unterstützung heraus. Dem Massenvertrieb wirft man gemeinhin vor, nur gängige Titel ins Angebot zu nehmen. Den „Gegen-Goncourt“ benutzt die FNAC als Beweis für ihre Bereitschaft zu Alternativlösungen erbringen.

 

 

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