(Vortrag bei der Konferenz "Intellektuelles Panorama des ausgehenden Jahrhunderts - An der Schwelle des XXI. Jahrhunderts", Budapest, 20.-21.3.98.)
von Ulrich Duchrow
Hochverehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Es gereicht Ihrem Land und Ihrer Regierung zur Ehre, daß Sie diese internationale Konferenz veranstalten, um gemeinsam innezuhalten und eine grundsätzliche Ortsbestimmung vorzunehmen: Wo stehen wir? Kann es so weitergehen oder müssen wir Korrekturen an unserem Kurs oder gar eine fundamentale Wende vornehmen? Die Mehrheit der Ökonomen, Wirtschaftler, Politiker und Journalisten wollen uns ja glauben machen, daß das, was ist, naturnotwendig so ist und daß es keine Alternative gibt. Ich gehöre zu der Minderheit, die sagt: Wenn es so weitergeht, wie es jetzt geht, wird es nicht weitergehen - aber es gibt Alternativen, darum muß es nicht so weitergehen, wie es jetzt geht.
I. Der status quo am Ende des Jahrhunderts: Gesellschaft und Natur zerstörende kompetitive Globalisierung des Kapitals
Der Mythos unserer Zeit hat den Namen "Globalisierung". Er besagt: Weil Finanzen, Wirtschaft und Medien weltweit - fast - ohne Grenzen agieren, müssen alle an diesem Weltmarkt Teilnehmenden grenzenlos konkurrieren. Die Arbeitenden und Regierenden an allen Orten müssen dadurch ihren "Standort" sichern, daß sie den Kapitalbesitzenden möglichst gewinnreiche Anlagemöglichkeiten bieten: Arbeitende entlassen, Löhne und ökologische Bedingungen senken, Steuern auf Unternehmens- und Geldvermögensgewinne herabschrauben, Sozialabbau betreiben usw. Es gehört Verblendung dazu, um nicht zu durchschauen, daß sich hier das alte Prinzip des römischen Imperiums wiederholt: Divide et impera, teile und herrsche! Und so nannte Le Monde Diplomatique schon vor Jahren die globalen Finanzmärkte, TNCs und Medien "die neuen Herren der Welt", "Les nouveaux maítres du monde".
Ich sage demgegenüber: Alle Akteure der zivilen Gesellschaft und der Politik müssen und können lokal, national, regional und global kooperieren, um dem Kapital wieder sozial-ökologische Grenzen zu setzen. Der Planet Erde steht auf dem Spiel. Aber zunächst zum status quo.
Dieses Jahrhundert begann mit dem Zusammenbruch des ersten Versuches, mit globalem Konkurrenzliberalismus - damals unter Führung Großbritanniens - den "Wohlstand der Nationen" herbeizuführen. Der Ideologe dieser Epoche, Adam Smith, hatte versprochen, daß wenn alle Marktteilnehmer egoistisch ihren Gewinn anstreben, für alle Wohlstand dabei herauskommt, weil sie sich durch die gegenseitige Konkurrenz in Schach halten. Er hatte übersehen, daß dies nur funktioniert, wenn alle Marktteilnehmenden gleich stark sind, in einem deregulierten kapitalistischen Markt aber der Starke zunehmend stärker und der Schwächere zunehmend schwächer wird. Außerdem kommt es unter den Starken zu kriegerischen Ausscheidungskämpfen - in diesem Fall zwischen Großbritannien und Deutschland, das jenem die Hegemonialrolle streitig machen wollte. Ergebnis: Weltwirtschaftskrise mit ihrem unermeßlichen sozialen Elend und zwei Weltkriege.
Aus diesen Katastrophen lernend, außerdem unter dem Druck der erstarkten Arbeiterbewegung und des konkurrierenden Kommunismus leitete der Westen eine Phase sozialer Regulierung der kapitalistischen Eigentumswirtschaft ein: New Deal in den USA, Beveridge Plan in Großbritannien, soziale Marktwirtschaft in Westdeutschland usw. Dies funktionierte in den westlichen Industrieländern aufgrund verschiedener Voraussetzungen:
Gerade aber das Weltwährungs- und Wirtschaftssystem trug seit der Weltwirtschaftskonferenz in Bretton Woods den Keim der Zerstörung in sich. Keynes hatte als Leiter der britischen Delegation eine Ordnung nach seinen Kriterien Gleichgewicht, Gerechtigkeit, Frieden vorgeschlagen, gleichsam soziale Marktwirtschaft auf globaler Ebene: eine Weltwährungsbehörde mit neutralem Weltgeld, notfalls Besteuerung von Handelsbilanzüberschüssen, einen Weltstrukturfonds zum Ausgleich zwischen den Regionen usw. Die nach dem Krieg in jeder Hinsicht übermächtige USA akzeptierten das nicht, sondern wollten den Dollar als Weltgeld und möglichst große Freiheit für ihre Konzerne.
Das Ergebenis ist bekannt: Nachdem die westeuropäischen Banken an ihren Regierungen und Zentralbanken vorbei frei auf den Dollarmärkten zu handeln begonnen und die USA durch den Vietnamkrieg den Dollar inflationär gemacht hatten, brach 1971 und endgültig 1973 die Regulierung der Währungen zusammen und damit das erste Instrument staatlicher Finanzregulierung und Wirtschaftssteuerung. 1979 erfolgte dann mit der neuen monetaristischen Politik der US-Notenbank die Deregulierung der Zinsen, was zu der dramatischen Schuldenkriese führte. Und schließlich zeigte sich, daß nicht nur die Länder des Südens und Ostens sich verschuldeten, sondern zunhemend auch des Westens, bei Reagan verschärft durch die Hochrüstungspolitik, in den anderen Ländern besonders durch die Steuervermeidung und Flucht des Kapitals über die trans-nationalen Märkte.
Für die Zukunft im XXI. Jahrhundert ist es entscheidend zu verstehen, daß dies nicht ein naturgestzlicher Vorgang war, sondern ein politisch zunächst tolerierter und dann zunehmend gewollter Prozeß. Die neoliberale Ideologie gewann, zunächst mit Pinochet in Chile, dann mit Reagan in den USA und Thatcher in Großbritannien die politischen Führungen im Westen. Auch die EU ist ihr immer mehr erlegen, von den Schocktherapien in Mittel- und Osteuropa nach der Wende ganz zu schweigen. Das Ergebnis vor aller Augen: eine enorme Reichtumskonzentration in immer weniger Händen bei gleichzeitiger Verarmung immer größerer Bevölkerungsgruppen; ein hochlabiles, immer spekulativeres Finanzsystem, dessen Gewinne privatisiert, dessen Verluste über Rettungsaktionen des IWF mit Steuergeldern sozialisiert werden, wie die Mexiko- und Asienkrisen wieder vorgeführt haben; steigende strukturelle Massenarbeitslosigkeit statt Arbeitszeitverkürzung; Umverteilung des Reichtums von unten nach oben durch Staatsverschuldung; Zerstörung der sozialen Textur vieler Länder des Südens und des Ostens; Kriminalsisierung, ja, Mafiaisierung von Wirtschaften verbunden mit politischer Korruption; Entdemokratisierung und weiter wachsende ökologische Zerstörungen. Dies alles sind keine Zufälle. Es sind die absehbaren Folgen neoliberaler politischer Deregulierung der kapitalistsichen Finanzmärkte und Weltwirtschaft. Diese werden nur letztlich nur von einem einzigen Prinzip gesteuert: möglichst kurzfristiger Geldvermögensvermehrung - einem Prinzip, das von den uniformierenden Medien, die sich in den Händen der gleichen Kapitalakteure befinden, weltweit in die Herzen und Hirne der Menschen gepflanzt wird.
Wie lange werden sich die Völker und Gesellschaften von der Macht und Ideologie dieses neoliberalen Systems blenden und beherrschen lassen?
II. Die Hoffnung für das XXI. Jahrhundert: weltweite Kooperation der zivilen Gesellschaft und der Politik für lokale, lebensfähige Gemeinschaften und sozial-ökologische Regulierung des Kapitals
Das Problem liegt auf der Hand: Eine Rückkehr zur zentralen Planwirtschaft, alias Staatskapitalismus, ist nicht die Alternative. Sie hat sich historisch widerlegt, ohne daß man ihre systematischen Fehler hier erneut aufzählen müßte. Aber auch eine einfache Rückkehr zur fordistisch-keynesianischen Marktwirtschaft ist nicht möglich, da das dort vorausgesetzte unbegrenzte Wirtschaftswachstum ökologisch nicht möglich ist - einmal abgesehen von der gegenwärtigen Unmöglichkeit, mit nationalstaatlichen Instrumenten der Macht des globalisierten Kapitals Herr zu werden. Was also dann sind die Alternativen?
Ich sage ausdrücklich Alternativen im Plural und nicht Alternative im Singular. Denn bereits in der Vorstellung eines universal durchzusetzenden Prinzips liegt ein fundamentaler Fehler, der gleichermaßen der Idee eines deregulierten privatkapitalistischen Weltmarkts wie der einer zentralen Planwirtschaft zugrunde liegt. Diese beiden sind gleichermaßen abzulehnen, weil sie je auf spezifische Weise die Bedürfnisse und die Partizipation der örtlich lebenden menschlichen Gemeinschaften der Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht unterordnen.
Die Vision einer alternativen sozio-ökonomischen und sozio-politischen Zukunftsentwicklung kehrt die Perspektive genau um: Sie setzt bei lebensfähigen lokalen und kleinregionalen Gemeinschaften in ihren kulturellen und natürlichen Kontexten an und blickt erst von dort auf die nationalen, großregionalen und globalen Makrosysteme, die so zu strukturieren sind, daß sie den lokalen Gemeinschaften nützen, nicht umgekehrt wie jetzt. Damit erfährt die zivile Gesellschaft, ihre Interessen und Handlungsmöglichkeiten gegenüber den großwirtschaftlichen und politischen Institutionen, eine fundamentale Aufwertung, ja, Priorität. Wie kann man sich dies konkret vorstellen?
Die erste Grundfrage heißt: Woran mißt man wirtschaftliche Effizienz? Bisher wird sie rein monetär gemessen, betriebswirtschaftlich am Gewinn, volkswirtschaftlich am Bruttosozialprodukt (BSP). Dabei werden soziale und ökologische Schäden positiv in die Bilanz eingerechnet, obwohl sie sich faktisch negativ auf die lebenden Menschen, die Umwelt und die Volkswirtschaft auswirken: Entlassungen von Arbeitenden lassen die Aktien steigen, weil die Kosten externalisiert werden, die Vergiftung eines Flusses durch die Industrie führt zu wirtschaftlichen Aktivitäten, die positiv in die BSP Bilanz eingehen. Auch hier werden die Kosten externalisiert und nicht mitgerechnet. Nicht Bedürfnisse der Menschen, der Gesellschaft und der Umwelt stehen im Mittelpunkt dieses Wirtschaftsmodells und seiner Maßindikatoren, sondern die Geldvermögensvermehrung.
Demgegenüber integriert ein alternatives System zur Messung der Effizienz wirtschaftliche, soziale und ökologische Erfolgsindikatoren mit dem Ziel, eine nachhaltige Bedürnisbefriedigung der Menschen zu erreichen. Zuletzt hat eine Forschungsgruppe um den Heidelberger Ökonomen Hans Diefenbacher ein solches Indikatorensystem vorgelegt. Es zeigt die drei untereinander vernetzten Kreise Wirtschaft, Soziales und Umwelt mit je sechs Indikatoren, die sog. Zauberscheiben der Nachhaltigkeit.
Wie kann eine solche alternative Vision umgesetzt werden? Kairos Europa, eine Basisbewegung für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Gerechtigkeit, hat dafür das Konzept einer Doppelstrategie entwickelt: 1. Auf der einen Seite geht es um die Entwicklung von Alternativen im Kleinen auf lokal - regionaler Ebene, die im Idealfall darauf zielen, die Befriedigung der Grundbedürfnisse der heute und in Zukunft hier lebenden Menschen in ihrer natürlichen Mitwelt zu sichern. Nur die Bedürfnisse, die über die Grundbedürfnisse hinausgehen, werden über die Makrosysteme des überregionalen Marktes und seiner politischen Regulierungen zu befriedigen gesucht.
2. Auf der anderen Seite sucht die zivile Gesellschaft durch Bündnisbildung Gegenmacht von unten aufzubauen, die die politischen Institutionen national, großregional und global dazu zwingt - oder vornehmer ausgedrückt dazu demokratisch legitimiert und veranlaßt -, die Wirtschaft sozial-ökologisch zu regulieren.
Zum 1. Teil der Doppelstrategie hat Richard Douthwaite ein internationales Handbuch entwickelt, das Kairos Europa in Zusammenarbeit mit Hans Diefenbacher gerade in den deutschsprachigen Kontext übertragen hat. Hier geht es um Teilabkopplung aus den Weltmarktmechanismen in vier Bereichen: Geld, Bankensystem, Energie und Grundversorgung mit Nahrung, Kleidung und Wohnung:
Die lokal-regionalen Gemeinschaften können aber den Tausch ihrer grundbedürfnisbezogenen Arbeitskraft, Güter und Dienstleistungen aus dem Geldmechanismus auskoppeln. Sie können bargeldlos tauschen oder eine lokal-regionale eigene "Währung" entwickeln. Die bekanntesten Beispiele dafür sind die LET-Systeme (Local Exchange and Trading Sstems), Tauschringe oder auch die Wirtschaftsringe, in denen sich kleine und mittlere Unternehmen gegenseitig zinslos liquide halten. Die Tauschringe funktionieren so, daß die verschiedenen Teilnehmenden Güter oder Dienstleistungen anbieten und nachfragen, was auf einem bargeldlosen Konto - meist gerechnet nach Arbeitszeiteinheiten - dann gegeneinander verechnet wird. Diese Form der Kleinalternative hat sich besonders an Orten bewährt, wo die formale kapitalistische Ökonomie hohe Arbeitslosigkeit verursacht hat. Die Wirtschaftsringe hingegegen - wie das Beispiel des hocheffektiven Schweizer Wirtschaftsrings (WIR) zeigt - bieten gute Chancen selbst in reichen Regionen. WIR ist eine Kreditgenossenschaft, in der 60 000 kleine und mittlere Unternehmen, Büros und Betriebe mit einem Jahresumsatz von 2,5 Mrd Schweizer Franken zusammenarbeiten. Sie erhalten aus der Genossenschaft Kredite für eine Bearbeitungsgebühr von 1.75% und können damit einen Teil des Preises oder in einigen Fällen auch den Gesamtpreis für Güter oder Dienstleistungen bezahlen, die Mitglieder der Genossenschaft anbieten. WIR wurde 1934 als Antwort auf die damalige Währungskrise entwickelt.
Die Antwort ist die Bildung von lokal-regionalen Gemeinschaftsbanken, die die Ersparnisse der Region zinsgünstig auch dort reinvestieren. Man kann solche Genossenschaftsbanken auch interregional vernetzen wie die erfolgreiche Grameen Bank in Bangladesh zeigt, die über einer Millionen, vor allem landlosen, Frauen Kleinkredite zur Verbesserung ihrer Lebenssituation ermöglicht. Auch zivilgesellschaftliche Institutionen wie Gewerkschaften oder Kirchen können in ihrem Rahmen Kreditgenossenschaften oder Gemeinschaftsbanken bilden.
Hier zeigt sich aber auch, daß die notwendige Umkehr in die Zukunft ein mentales Problem ist. Werbung und Medien suggerieren den Menschen den Wert "Je weiter, desto besser". So ging nach der Wende in den mittel- und osteuropäischen Ländern der Verbrauch einheimischer Produkte dramatisch zurück. Mir erzählte ein polnischer Freund, daß eine Firma auf die schlaue Idee kam, in dieser Situation ihre Produkte außer mit polnischer auch mit englischer und deutscher Aufschrift zu bedrucken. So dachten die Leute, es sei ein ausländisches Produkt, und kauften es. Gerade im Konsumbereich bedarf es einer tiefreichenden Umorientierung bei allen Menschen vom immer mehr und immer modischen zu den Orientierungzielen genug und einfach schön. Hier deutet sich letztlich ein spirituelles und religiöses Problem an. Wir Menschen haben Träume und über unseren gegenwärtigen Zustand hinausgehende Wünsche und Sehnsüchte. Letztlich hoffen wir, den Tod überwinden zu können. In dem Maß, wie Kirchen und eine Gemeinschaftskultur diese Sehnsüchte nach Schönheit, Fest, Feier und Sinn nicht mehr aufnehmen, beutet sie die kapitalistische Wirtschaft gezielt mit Surrogaten aus. Dies wird unter dem Titel "Kult-Marketing" inzwischen offen und geradezu zynisch propagiert.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß ungezählte kreative Möglichkeiten bestehen, lokal-regionale Gemeinschaften im Blick auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse teilunabhängig vom Weltmarkt zu machen. Dies hat weitreichende, auch internationale Bedeutung, insofern die Abhängigkeiten im Blick auf die lebensnotwendige Grundversorgung der Bevölkerungen abgebaut werden. Außerdem haben Gemeinschaften, die sich in diese Richtung entwickeln, die größte Überlebenschance, wenn der nicht unwahrscheinliche Zusammenbruch der spekulativen Finazmärkte einmal eine neue Weltwirtschaftskrise hervorbringen wird, die alles Gekannte übertrifft, weil die Abhängigkeit vom Weltmarkt heute sehr viel größer ist als 1929. Ereignisse wie jetzt in Indonesien und anderen asiatischen Staaten sind nur ein Vorschmack davon.
Was über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinausgeht, kann und soll dann natürlich über die Grenzen der Region hinaus gehandelt werden. Aber hier gilt dann die Regel, von Region zu Region gerade damit zu handeln, worin die jeweilge Region stark ist. Die jetzigen ungleichgewichtigen Handelsbeziehungen besonders zwischen dem Westen einerseits und dem Süden und Osten andererseits könnten dann durch gleichgewichige Handelsbeziehungen ersetzt werden, was zu gerechteren terms of trade führen würde.
Aus dem Gesagten ist klar, daß nicht nur für eine Zeit des Übergangs, sondern prinzipiell die lokal-regionale Wirtschaft nicht die einzige Form von Wirtschaft sein kann und wird. Deshalb ist sie nicht die Alternative zum Weltmarkt, sondern nur, allerdings grundlegender, Teil der nötigen Alternativen. Der zweite Teil betrifft die sozial-ökologisch-demokratische Regulierung der Makrostrukturen der Finanz- und Realwirtschaft.
Im 2. Teil der Doppelstrategie ändert sich die Rolle der zivilgesellschaftlichen Akteure. In der lokal-regionalen Wirtschaft bauen die Personen, Haushalte, Gruppen, Klein- und Mittelbetriebe, Kommunen usw. (soweit sie sich beteiligen) kooperativ an der vom Weltmarkt teilabgekoppelten Befriedigung der Grundbedürfnisse. Gegenüber den wirtschaftlichen und politischen Institutionen und Makrosystemen bilden sie Bündnisse, um gegenüber diesen Institutionen und Großstrukturen mit dem Ziel der sozial-ökologischen Regulierung der Wirtschaft zu intervenieren.
Das klassische zivilgesellschaftliche Instrument gegenüber dem Großkapital ist die Arbeiterbewegung, insbesondere die Gewerkschaften. Ihr Problem ist freilich heute im Kontext der neoliberalen Globalisierung, daß sie betrieblich und und föderativ vor allem im nationalen Rahmen agieren, während die Kapitalseite die Arbeiterschaften der verschiedenen betrieblichen Einheiten und nationalen Föderationen gegeneioinader ausspielen kann. Auch nimmt ihre Kraft mit der zunehmenden strukturellen Arbeitslosigkeit ab. Zwar versuchen sie, sich z.B. auf EU Ebene und auch in globalen Bündnissen solidaritätsfördernde Strukturen zu schaffen, aber diese sind bisher schwach entwickelt. Deshalb brauchen sie Bündnisse mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Auch können und müssen die Gewerkschaften nicht allein die Last der gesamten sozial-ökologischen Anliegen gegenüber der Wirtschaft tragen. Beispiele zeigen, daß soziale Bewegungen auf breiter Basis gegenüber TNCs und Großbanken intervenieren können. Ein bekanntes Beispiel ist die Kampagne "Nestlé tötet Babies". Hier wurde der Konzern durch weltweite Kampagnen gezwungen, seine aggressive Werbung für Babynahrung in hygienisch nicht versorgten Regionen der Welt einzustellen. Ein anderes Beispiel war die Kampagne zum Boykott von Firmen und Banken, die mit der Apartheidregierung in Südafrika Geschäfte machten. Kirchen, Gewerkschaften, Orden, Universitäten, Basisbewegungen, Kommunen u.a. gelang es in den USA und Kanada, Banken und Firmen zum Rückzug aus Südafrika zu zwingen. Im ökologischen Bereich ist die Intervention von Greenpeace gegenüber Shell anläßlich der Entsorgung der Bohrinsel Brentspar besonders bekannt geworden. Ich könnte viele Beispiele des Erfolgs, aber auch des Mißerfolgs erzählen. Das Machtverhältnis ist das zwischen dem Hirtenjungen David, der mit einer Steinschleuder ausgestattet ist und dem hochgerüsteten Goliath. Dennoch sind diese Beispiele ermutigend, um den Menschen die Ohnmacht und den Aberglauben an die Unbesiegbarkeit von wirtschaftlicher Macht zu nehmen.
Freilich reicht diese Ebene der direkten Aktion nicht. Vielmehr zielt der Hauptansatz zivilgesellschaftlicher Bündnisse zur sozial-ökologischen Regulierung der Wirtschaft auf die Schaffung und Gestaltung politischer Institutionen, die diese Regulierungsaufgabe für die Allgemeinheit im Interesse des Gemeinwohls übernehmen und dafür demokratischer Rechenschaftspflicht unterliegen. Dies ist freilich eine hochkomplexe und schwierige Aufgabe. Solange die Wirtschaft im nationalen Rahmen gesteuert und besteuert werden konnte, war dies im Prinzip einfach. Die Menschen konnten im besten Fall eine andere Regierung wählen. Heute haben einzelne nationale Regierungen ähnlich wie die Gewerkschaften nur noch einen sehr beschränkten politischen Spielraum gegenüber den globalen Finanz- und Wirtschaftsmächten - freilich mehr, als sie zumeist aus ideologischen Gründen wahrnehmen. Die einzige Antwort in dieser Situation kann deshalb nur lauten: internationale Kooperation der Gewerkschaften und der anderen Sektoren der Gesellschaft auf der einen und der nationalen Regierungen auf der anderen Seite zur sozial-ökologischen Regulierung der Wirtschaft. Letztlich kann es angemessene Regulierungen gegenüber der Kapitalmacht nur auf global internationaler Ebene geben, aber vieles in dieser Richtung ist auch national und regionale möglich. Ich greife nur die wichtigsten Aufgabenfelder heraus.
Das Grundproblem auf globaler Ebene ist die Tatsache, daß anders als von Keynes in Bretton Woods vorgesehen die Weltwirtschaft nicht demokratisch, sondern plutokratisch organisiert wurde. D.h. in IWF und Weltbank gilt nicht "ein Land-eine Stimme", sondern"ein Dollar-eine Stimme". Und die G7-Regierungschefs haben sich selbst zur Weltwirtschaftsregierung aufgeworfen. D.h. die Regierungen und Notenbankchefs der reichsten Industrieländer maßen sich diktatorische Vollmachten über die Weltwirtschaft an. Parallel wurde die UNO immer mehr entmachtet oder kooptiert, so die Untereinheit UNCTAD gegenüber der GATT-Nachfolgerin WTO im Blick auf den Welthandel. Als Höhepunkt versucht z.Zt. die OECD, über das multilaterale Investitionsabkommen (MAI), den Investoren absolute Rechte gegenüber nationalen und kommunalen Regierungen zu sichern, damit diese den Investoren keine sozial-ökologischen Auflagen machen können, weil das einer "Enteignung" gleichkäme, die die Regierungen mit gerichtlich einklagbaren Entschädigungen bezahlen müßten.
Dabei liegen von der UNO und NROs ausgezeichnete institutionelle Vorschläge für die politische Neuordnung der Weltwirtschaft vor, die z.T. an die ursprünglichen Vorschläge von Keynes in Bretton Woods anknüpfen. Ich nenne hier nur die wichtigsten, zunächst die langfristigen:
Bereits kurzfristig ist u.a. folgendes gefordert und auch machbar, wenn es politisch gewollt würde:
Kern von allem ist die Wiedergewinnung der politischen Regulierung des Kapitals durch globale Kooperation der Regierungen. Ohne sie wird weder die weltweite strukturelle Arbeitslosigkeit noch die soziale und ökologische Zerstörung des gegenwärtigen neoliberalen Systems überwunden werden können. Dabei könnten bereits nationale Regierungen einiges in dieser Richtung tun, wenn sie denn auf der Basis der Bewußtwerdung der Bevölkerungen den politischen Willen dazu entwickeln würden. Frankreich beispielsweise hat Schritte in dieser Richtung zu tun begonnen. Auch können größere Regionen Teilkooperationen in dieser Richtung entwickeln. So z.B. könnten die mittel- und osteuropäischen Länder ihre Position gegenüber der stärkeren EU erheblich durch intensiven Ausbau der Kooperation in ihrer Region verbessern. Die Mittel- und Osteuropäische Freihandelsassoziation (CEFTA) ist offenbar ein Versuch in dieser Richtung. Auf diese Weise kann auch eine graduelle Transformation der früher zentralwirtschaftlichen Volkswirtschaften sozial und kulturell angepaßt erreicht werden, nachdem die Schocktherapien nur eine Spaltung der Gesellschaft und eine Kriminalisierung der Wirtschaft erreicht haben.
Wir im Westen arbeiten daraufhin, daß es den sozialen Bewegungen in den Zentrumsregionen Nordamerika, Europa und Japan gelingen möge, einen Politikwandel herbeizuführen, der unsere Regierungen zwingt, international umzusteuern; denn sie haben im gegenwärtigen System quasi totalitäre Macht. So paradox es klingt, aber die verheerenden sozialen Folgen neoliberaler Politik auch in den reichen Ländern erhöht unsre Chancen. Denn nun haben wir die dramatischen Folgen des deregulierten kapitalistischen Systems im eigenen Hause, nachdem wir sie lange auf den Süden und Osten abwälzen konnten. Die Arbeitslosenbewegungen in Frankreich und Deutschland sind ein besonderes Zeichen der Hoffnung. An ihnen kristallisieren sich jetzt die Bündnisse auch mit Gewerkschaften, Kirchen, Basisbewegungen und NROs. Ja, in Frankreich hat sich bereits die mehrheit der Bevölkerung für den Politischen Wandel entschieden. Meine Befürchtung ist nur die: Wenn auch die jetzt zunehmend von den Bevölkerungen Europas gewählten Regierungen weniger aggressiv neoliberal als sozial orientiert sind, sie werden insgesamt die Probleme der strukturellen Arbeitslosigkeit, der sozialen Spaltung und der ökologischen zerstörung nicht lösen, wenn sie nicht gemeinsam an den Kern des Problems gehen, nämlich die nur kooperativ mögliche sozial-ökologische Regulierung des transnationalen Kapitals im Finanz-, Business- und Medienbereich. Wenn sie diese Zentralaufgabe heute versäumen, wird ihr Handlungsspeilraum immer kleiner. Schnell werden sich die menschen von ihnen abwenden und in der immer größer werdenden Katastrophe ihr Heil bei rechten Demagogen suchen, wie ebenfalls u.a. in Frankreich ablesbar ist.
Deshalb ist es an der Schwelle zum neuen Jahrhundert und Jahrtausend so wichtig, über die Grundprobleme nachzudenken und konkrete Schlußfolgerungen daraus zu ziehen, wie es diese Konferenz erfreulicherweise versucht.