Echos aus Graz
Den verschiedenen Berichten stellen wir einige Zitate aus den Graz-Doku-menten voran, die für das Anliegen von Church and Peace von Interesse sind. Die Schluábotschaft kann in unserer Geschäftsstelle angefordert werden.
Aus dem Basistext Dieser Basistext bildete die Grundlage der Handlungsempfehlungen. Aus beiden Doku-menten zitieren wir die für den Themenbereich 4 (Versöhnung zwischen den Völkern und gewaltfreie Formen der Konfliktbewältigung) maágeblichen Passagen. Versöhnung und Friedenspolitik
4.1 Wir empfehlen den Kirchen, sich an der Debatte über europapolitische Entwicklungsprozesse intensiv zu beteiligen, sich dazu Instrumente für ein gemeinsames Handeln zu schaffen und die vorhandenen Institutionen zu stärken. Begründung: Die Europäischen Institutionen (OSZE, Europarat, EU) sind die Motoren der politischen Neuordnung für ganz Europa. Wenn sich die Kirchen von diesem Prozeá nicht ausschlieáen wollen, bedarf es gemeinsamer Initiativen, kontinuierlichen Erfahrungsaustausches und der beständigen Analyse der europäischen Entwicklung. Das betrifft besonders alle Anstrengungen, den Waffenhandel zu begrenzen (z.B. durch einen europäischen Verhaltenskodex) und den Protest gegen die Herstellung, den Export und die Anwendung von Landminen. 4.2 Wir möchten die Kirchen bitten, eine aktive und nachhaltige Rolle bei der friedlichen Transformation von Konflikten (z.B. Nordirland, Zypern) und in Friedens- und Versöhnungsprozessen nach kriegerischen Auseinandersetzungen (wie in Bosnien, Kroatien, Serbien, Tschetschenien u.a.) zu übernehmen. Begründung: Der Versöhnungsauftrag der Kirchen verlangt von ihnen, alle Bemühungen zu unterstützen, die der Anwendung von Gewalt vorbeugen oder ihre Folgen heilen. Dazu gehören die verschiedenen Formen der Konflikt-mediation ebenso wie der Einsatz beim Wiederaufbau und das Bemühen, heim-kehrenden Flüchtlingen einen menschenwürdigen Neuanfang zu ermöglichen. 4.3 Wir empfehlen KEK und CCEE mit ihren Mitgliedskirchen, den Austausch von Erfahrungen von Initiativen, Institutionen, Laien- und Bildungszentren und Gemeinden in Friedens- und Versöhnungsprozessen zu fördern. Begründung: Die Entwicklung einer Kultur der Gewaltlosigkeit verlangt nach Bildungsprozessen, in denen sich lokale mit internationalen Erfahrungen ver-binden. Entsprechende Bildungsprogramme sollten besonders junge Men-schen, aber auch Soldaten und Politikerinnen und Politiker einbeziehen. 4.4 Wir empfehlen KEK und CCEE, ein ständiges Komitee für Konfliktanalyse und -bearbeitung einzurichten. Es soll Versöh-nungsprozesse anregen und die Möglichkeiten untersuchen, die Ausbildung von Fachkräften zur zivilen Konfliktbearbeitung auf europäischer Ebene zu institutionalisieren. ******** [Zur näheren Erläuterung und Vertiefung dieser vier Empfehlungen dokumentieren wir in leicht gekürzter Fassung das entsprechende Hintergrundmaterial zu den Handlungs-empfehlungen.] Engagement für die Versöhnung in und zwischen den Völkern und Nationen und Stärkung gewaltfreier Formen der Konfliktbe-wältigung Erfahrungen nach 1989 Rolle der Kirchen in Konflikten Wachsende Bedeutung ziviler Konfliktlösungen Konfliktverhütung und gewaltfreie Konfliktschlichtung
Ökumene und Völkerverständigung Der Einsatz der Kirchen für die Opfer der Barbarei Schalom-Dienste (Die im Text des Abschnitts Hintergrundmaterial zu den Handlungsemp-fehlungen vorgenommenen Hervorhebungen erfolgten durch die Redaktion.) In meiner letzten Sitzung als Mitglied des erweiterten Vorstandes von Church and Peace hatte ich mich bereit erklärt, als "Delegierte Vertreterin" an der Tagung teilzunehmen. Mein Interesse an dem Projekt Alternativen zur Gewalt wollte ich nebenher wahr-nehmen. Gereist bin ich mit Christa Voigt, die die internationale Initiative zur Kriegssteuer-Verweigerung vertrat. Freundlicher Empfang am Flugplatz: Äpfel, Erdbeeren und Möhren. Wir muáten weder bei der Ausgabe der Konferenzunterlagen noch bei der Stadtplanberatung lange warten und fanden unser Quartier in unmittelbarer Zentrumsnähe ohne Probleme, wurden dort herzlich erwartet und haben immer wieder unser gütiges Schicksal gelobt, das uns so gut untergebracht hat. Unsere Gastgeberin erwies sich als eine interessierte Gesprächspartnerin, die unserem Gedankengut und unseren Projekten sehr aufgeschlossen gegenüberstand. Die Teilnahme an der Versammlung war unter verschiedenen Kategorien möglich, die an der Grundfarbe des Namensschildes zu erkennen waren. Rosa für Delegierte der Kirchen, gelb für Delegierte von assoziierten Grup-pen ('delegated representatives') und regenbogenfarben für die von der Basis Angereisten. Eröffnung Bedauerlich fand ich, daá die Generalsekretärin des Südafrika-nischen Kirchenrates, Brigalia Hlope Bam, mit ihrem Referat erst am Ende plaziert war, als die Zeit schon hoff-nungslos überschritten war. Ihr Beitrag "Versöhnung - ein neuer Kampf ums Leben. Was wir von (Süd)Afrika lernen können" hätte ein guter Brücken-schlag zwischen den Delegierten und den Basisinitiativen sein können, weil es das einzige Referat war, das praktische Versöhnungsarbeit - ins-besondere durch die Wahrheits- und Versöhnungskommission - im Plenum schilderte. Beeindruckend war für mich auch die Predigt der Pfarrerin bei der Eröff-nungsfeier auf dem Freiheitsplatz, die mit dem überraschenden Satz begann: "Europa ist schwanger". Sie beschreibt darin den Dialog der Zwillinge 'Angst' und 'Hoffnung', die so unterschiedlich, jedoch untrennbar miteinander ver-bunden seien. Ihnen stellt sie Jesus Christus gegenüber, der die Ver-söhnung verkörpert. Die Kirchen mahnte sie, zu bedenken, daá keine von ihnen allein das Heil bringen könnte, auch sie nur durch die Versöhnung durch Christus existieren. Die Zeugnisse von vier jungen Menschen über ihre Ausgrenzungser-fahrungen als europäische Minder-heiten in ihren Gesellschaften waren eine weitere Konkretisierung des Themas "Versöhnung". Die Perspektive einer Delegierten Die Dialogforen waren vollgepackt mit Informationen, manchmal aufgelockert mit dialogischen Vermittlungsformen, die eigentlich erst die Bezeichnung "Dialogforum" rechtfertigten. Vielfach waren jedoch die einführenden Impulse so lang, daá für die Publikums-reaktionen, gefiltert durch sogenannte 'Anwälte' (eine Idee, die ich eigentlich sehr begrüáte) beschämend wenig Raum blieb. In Anbetracht dessen, daá die Delegierten ja schon einen langen Vormittag gehabt hatten, erschien mir die Zeitspanne von 15-18 Uhr in dieser Form anstrengend lang. Vielleicht hat das auch manche Delegierte ab-gehalten? Plenum Bei einer 3. Europäischen Ökume-nischen Versammlung wünschte ich mir als Plenarveranstaltungen schon mehr Interaktives. Den Delegierten sollte mehr Zeit bleiben, sich mit den Angeboten und Denkanstöáen der Basis auseinanderzusetzen. Für das Problem, wie weniger motivierte Delegierte aktiviert werden könnten, habe ich allerdings auch keinen Lösungsvorschlag. Ute Caspers
Die Umgebung war wunderschön: ein hübsches österreichisches Städtchen, das sich über beide Ufer eines rasch dahinflieáenden Flusses erstreckt; eine alte Burg hoch auf einem Hügel, von wo aus man auf geschäftige Marktplätze hinunterschauen kann; schöne alte Kirchen unterschiedlicher Denominationen in Hülle und Fülle. Eine kurze Straáenbahnfahrt vom Bahnhof entfernt lag das Messege-lände, wo ein groáer Teil der Veranstaltungen und Ausstellungen stattfanden. Es war viel Platz nötig, um die über 10.000 Delegierten und Teil-nehmer unterzubringen. 500 kamen aus Groábritannien und mehr als 1.000 aus Rumänien. Die Hauptplenar-sitzungen der Konferenz fanden in einer groáen Halle statt und wurden je nach Bedarf ins Englische, Deutsche oder Französische übersetzt. Die Reden von Karekin I., dem Katholikos von Armenien, von Metropolit Daniel aus Rumänien und von Dr. Brigalia Hlophe Bam aus Südafrika, ebenso die Bibelarbeiten von Bischof Michael Doe und Vater Abiola aus Groábritannien und vielen anderen, enthielten viel Weisheit, über die man meditieren konnte. Die Plenarberichte waren interessant, doch es war nicht einfach, in einer so riesigen Halle und mit so vielen Leuten eine Diskussion zu entfachen. Die formalen Verfahren, die in der Botschaft und in den Handlungs-empfehlungen resultierten, waren jedoch nur ein Teil dieses kreativen Happenings. Da gab es die "Agora", eine Art groáer Marktplatz, auf dem die für Frieden und Versöhnung arbeitenden Gastgeber-Organisa-tionen ihr Material in Wort und Bild aus-stellten und deren Mitarbeiter für Diskussionen und Gespräche zur Ver-fügung standen: European Pilgrimage 2000, Keston Institute, Corrymeela Community, Christian CND, Mission Centre of Slovenia und Pax Christi waren nur ein Bruchteil von den unzäh-ligen dort vertretenen Organisationen. Im Ökumenischen Dorf, einem weiteren Treffpunkt, bildeten 60 Grup-pen um einen zentralen freien Platz in der Mitte - vorgesehen für Theater, Singen, Tanzen und Diskussion - herum vier thematische Nachbar-schaften. Jede Nachbarschaft war einem Aspekt von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöp-fung gewidmet, und es fand dort ein lebhafter Erfahrungsaustausch statt. Weiterhin gab es eine Cafeteria, wo man sich informell begegnen konnte. Etwas weiter entfernt, auf der anderen Seite des Flusses, gab es das Peace House (Friedenshaus), in dem Hearings und Workshops zu verschiedenen, mit Versöhnung in Zusammenhang stehenden Themen stattfanden. Auáerdem wurde dort allabendlich das Musical "The Bridge" (Die Brücke) von Stephen und Hilary Tunnicliffe aufgeführt. Church and Peace und zahlreiche andere Orga-nisationen boten an verschiedenen Ständen ihre Literatur an. Im "Haus der Gastfreundschaft" stand die Überwindung von Rassismus und die Gastfreundschaft gegenüber Gast-arbeitern und Flüchtlingen im Mittel-punkt. Es gab Spiele, eine interna-tionale Küche und mehrere Ausstel-lungen. "Versöhnung in Nordirland" war eines der vielen Anliegen, worauf an diesem Ort das Augenmerk ge-richtet wurde. Dann waren da noch das groáe Fest-zelt, das für phanasievolle Gottes-dienste im Blick auf die groáe Men-schenmenge vorbereitet wurde, und die lokalen Kirchen für kleinere, jedoch überfüllte Gottesdiensterlebnisse. Das Erlebnis, Gott und Menschen zu be-gegnen, war eine bereichernde Erfah-rung. Wir trafen viele alte Freunde und knüpften viele neue Freundschaften. John Johansen-Berg Eröffnungsgottesdienst auf dem Freiheitsplatz in Graz, 23. Juni 1997. Foto: KEK
Es wurde eine wirkliche Menschen-menge, die vom 23. bis 29. Juni 1997 Graz, eine äuáerst gastfreundliche Stadt, die aufgrund ihrer zentralen Lage für die Zweite Europäische Öku-menische Versammlung ausgewählt worden war, "überschwemmte": 700 Delegierte, von den unterschied-lichsten Kirchen ausgesandt, - und welch eine enorme Spannweite zwi-schen Orthodoxen und Baptisten, Methodisten und Katholiken, Angli-kanern und Mennoniten, Reformierten und Waldensern und Armeniern - und dazu 10.000 Gäste aus allen Teilen Europas - nahezu 50% aus Osteuropa. Die Kapazitäten der Stadt wurden gesprengt. Diese Zweite Europäische Ökume-nische Versammlung stand unter dem Zeichen der Versöhnung, dem Thema, das die Ostkirchen auf Grund ihrer jüngsten Geschichte mit all ihren Spannungen und Konflikten vorge-schlagen hatten, von denen der blutigste sich ganz in der Nähe von Graz, im ehemaligen Jugoslawien, abgespielt hat. Die Delegierten hatten die Aufgabe, sich auf ein Dokument zu einigen, das den Konsens der Kirchen enthalten und das alle Themen aufgreifen sollte, die sich von der Botschaft der "Versöhnung" als "Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens" herleiteten. Die übrigen TeilnehmerInnen waren eingeladen, Groáversammlungen, Workshops und Podiumsdiskussionen zu diesem Thema zu besuchen. Church and Peace sah sich in besonderer Weise berufen, seinen Beitrag zu einem Thema zu leisten, das schon seit langem im Mittelpunkt seiner Anliegen steht. In Zusammen-arbeit mit dem Internationalen Versöh-nungsbund und Pax Christi Inter-national organisierte Church and Peace ein umfangreiches Programm für das Friedenshaus: Zeugnisse von Versöhnung, konkrete Projekte wie das ÖRK-Programm zur Überwindung von Gewalt oder das Schalomdiakonat, Seminare über gewaltfreie Konflikt-lösung, Theater und Musik, Work-shops zu Bibelarbeiten über Ver-söhnung oder über Mediation, aktive Gewaltfreiheit und vieles andere mehr. Es ist praktisch unmöglich, sich wirklich einen Gesamteindruck von einem Ereignis solcher Bandbreite zu machen, bei dem der Teilnehmer auf Grund der Fülle des Programms permanent der "Qual der Wahl" aus-gesetzt ist. Von daher war ich froh, daá durch meine Funktion als Dolmet-scherin im Peace House meine Wahl von Anfang an eingeschränkt war. Bibelarbeiten Die für das Gebet und die Bibel-arbeiten ausgewählten Texte führten uns Tag für Tag näher an das Thema Versöhnung heran. Die aus unter-schiedlichen Kirchen stammende Zu-hörerschaft, die hier in Graz vertreten war, vermochte es, gestützt auf eine gründliche Textexegese, eine geistlich auferbauende Botschaft zu vermitteln und ihre Tragweite für die heutige Welt deutlich zu machen. Das gemeinsame Gebet in dem riesigen, zu diesem Zweck errichteten Zelt war auf Grund der Vielfalt der vertretenen Traditionen sowie der gemeinsamen Verbunden-heit durch die Gewiáheit, dem gleichen Herrn anzugehören, jeden Tag ein er-greifendes Erlebnis. Die Gesänge in vielen unterschiedlichen Sprachen tru-gen zu einem groáen Teil zu diesem Gefühl bei. Friedenshaus Während der Zeit, die ich in der Übersetzerkabine verbrachte, hatte ich das Privileg, Zeugnisse von Versöh-nungsinitiativen aus Europa und der ganzen Welt zu hören. Die Einführung zu den Zeugnissen gab Hildegard Goss-Mayr, indem sie die Grundlagen jeglicher Versöhnung zwischen Fein-den von der Basis des Evangeliums aufzeigte. Was bei diesen Zeugnissen auffiel, war ihre inhaltliche Übereinstimmung, un-abhängig von ihrem jeweiligen Hinter-grund, ob aus Nordirland oder aus dem ehemaligen Jugoslawien: Jede Kon-fliktpartei behauptet dieselben Dinge, jede betrachtet sich als Opfer, jede leidet und jede denkt, daá diejenigen "auf der anderen Seite" besser dran sind... Trevor Williams von der ökumenischen Corrymeela-Gemeinschaft in Nord-irland erläuterte, daá in seinem Land die demokratischen Strukturen und die Arbeit der Kirchen verhindern würden, daá die Situation nicht ebenso katastrophal wie auf dem Balkan sei, wenngleich sich die Geistlichen zu-weilen wie "Stammesälteste" beneh-men. Corrymeela ist ein offenes Haus für Personen beider Konfliktparteien und bringt sie dazu, miteinander in Dialog zu treten. Bei diesen Begegnungen wird groáer Nachdruck darauf gelegt, daá jede Seite die Geschichte ihres eigenen Leidens erzählen kann (z.B. Todesfälle in der Familie infolge der Feindseligkeiten zwischen beiden Seiten). Heilung wird erst da möglich, wo die Beteiligten die Erfahrung machen, daá Angehörige der "anderen Seite" zuhören und dabei Mitleid empfinden. Das Drama auf dem Balkan hat zahlreiche Initiativen ökumenischen Charakters ins Leben gerufen: das Christliche Informationszentrum in Zagreb, "Das geflochtene Seil" in Osijek und viele andere, die seit Beginn der Feindseligkeiten theo-logisch und praktisch auf geistlicher Basis arbeiten. Ein Franziskaner, Ivo Markovic, hat in diesem Sinne an der Versöhnung während des ganzen Krieges unermüdlich in Sarajewo gewirkt. Er berichtete, sich an der Ver- Die eindrucksvollste Geschichte erzählte uns Jeffrey Brown, ein nordamerika-nischer Pastor. Er berichtete, daá von den Jugendlichen in Boston jedes Jahr Hunderte getötet und Tausende durch Waffen verletzt worden seien, bis die Verantwortlichen der Kirchen, davon alarmiert, zu überlegen begannen, wie diese Eskalation eingedämmt werden könnte. Vor einigen Jahren hat nun eine umfangreiche Arbeit begonnen, die nicht nur die Kirchen, sondern auch den Stadtrat, die Justiz, das Sozialwesen und insbsondere die Jugendlichen selbst fordert. Ein Zehn-Punkte-Plan umfaát u.a. "Adoption" einer Jugendlichenbande durch eine Kirchengemeinde, Straáenevangelisation unter Jugendlichen, die Beglei-tung von Jugendlichen bei Gerichtsterminen, Drogenprävention, die Beobach-tung von besonders gefährdeten Stadtvierteln und die ökonomische Entwick-lung. Die Resultate sind mehr als überzeugend: die Anzahl der durch Waffen Verletzten hat sich in spektakulärer Weise verringert und seit mehr als 21 Monaten hat es in Boston keinen einzigen Mord mehr gegeben. Jeffrey Brown forderte uns auf, "unsere Füáe dorthin zu richten, wo unsere Theologie ist" ("put your shoes where your theology is"), um eine Generation zu retten, die von einigen gerne als "hoffnungslos" betrachtet wird. In Südafrika wurde eine "Wahrheits-kommission" gegründet, um die in der Zeit der Apartheid begangenen Ver-brechen deutlich beim Namen zu nennen, damit das ganze Land - ehemalige Opfer und ehemalige Schuldige - eine "gemeinsame Erin-nerung" begründen können, um die Zukunft ihres Landes gemeinsam in Angriff nehmen und bauen zu können. Auch dort ist die Rolle der Kirche in diesem Prozeá entscheidend. Nicht zuletzt soll das erschütternde Zeugnis der niederländischen Mennonitin Jana Postma erwähnt werden. Sie erzählte die Geschichte ihrer Familie: Mehrere Angehörige hatten während des Zweiten Welt-kriegs mit den Nazis kollaboriert. Was soll man tun, wenn man entdeckt, daá die Menschen, die man liebt, schuldig geworden sind? Wie reagiert man auf die Fragen, die einem gestellt werden? Ist Versöhnung möglich? Jana erteilte uns eine Lektion in Mut und Auf-richtigkeit, als sie ihren Werdegang beschrieb: öffentlich die Wahrheit zu sagen, mit äuáerst schmerzhaften Ent-deckungen fertig werden, sich heute für Frieden und Gerechtigkeit enga-gieren, weil man das nicht unge-schehen machen kann, was eine Generation vor uns getan hat und den-jenigen zu helfen, die das Bedürfnis nach Versöhnung haben. Wenn ich mit Freude im Herzen aus Graz zurückgekehrt bin, dann geschah dies aufgrund der Zeugnisse, die ich Tag für Tag gehört hatte und von denen jedes auf seine Weise bestätigte: In allen Denominationen und Kirchen gibt es Christen und Christinnen, die sich dieser Berufung zur Versöhnung bewuát sind und danach leben und das neue Leben, dessen Quelle Gott in Jesus Christus ist, "aussäen". Wenn wir auch in unversöhnten Situationen und scheinbar unlösbaren Konflikten leben - und die Grazer Versammlung hat mit Sicherheit keine Patentlösungen für die Probleme unserer Welt und unserer Gemeinden gebracht - , hat die biblische Botschaft der Versöhnung doch nichts von ihrer Aktualität verloren. Der Ruf, Gottes Botschafter und Botschafterinnen zu sein, ist dringlicher als je zuvor. Marie-No‰lle von der Recke Geleitet wurde dieser im Peace House veranstaltete Workshop von Uli Sonn und Pete Hämmerle, die jeweils dem Deutschen und dem Österreich-ischen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes (IFOR) ange-hören, die diese Veranstaltung gemeinsam organisiert haben. Die TeilnehmerInnen kamen auáer aus Deutschland und Österreich aus Finnland, Schweden, Ungarn, den Niederlanden und aus Ruanda. Die Basis des Workshops bildete ein Rollenspiel, in dem die Schwierig-keiten inter- und multikulturellen Zusammenlebens erfahrbar gemacht wurden. Konzipiert ist es als Training für die Vorbereitung auf einen Aus-landsaufenhalt in einer fremden Kultur oder auf eine Zusammenarbeit mit Angehörigen verschiedener National-itäten. Was den Spielverlauf angeht, so teilen sich die TeilnehmerInnen in zwei verschiedene Gruppen auf und begeben sich in zwei getrennte Räume. Rantaba und Malindi sind im Blick auf Werte, Ziele etc. zwei völlig unterschiedliche Kulturen, was im Zusammenleben zum Tragen kommt. In jeder Gruppe gibt es einen Spielleiter, der die Teilnehme-rInnen mit den Merkmalen ihrer jeweiligen Kultur vertraut macht. Die Gruppe der einen Kultur weiá nichts von den Regeln der anderen. Sind beide Kulturen mit ihrer Lebensweise vertraut, wird nach und nach jeweils ein(e) VetreterIn der einen Gruppe zu der anderen geschickt, um sich dort eine Zeitlang aufzuhalten und später zurückzukommen. "Ziel bei diesem Austauschprogramm ist es, möglichst viele Regeln der fremden Kultur zu erkennen, so daá sich, nachdem jeder Mitspieler einmal in der fremden Kultur zu Gast war, alle Einheimischen wieder zusammenfinden und die Erfahrungen und Ergebnisse diskutieren und festhalten können. Es geht jedoch nicht nur darum, die Regeln der anderen Kultur herauszufinden, sondern gerade auch um das persönliche Erleben des Kulturunterschieds. Hat jede Kultur ihre Ergebnisse ausdiskutiert und aufgeschrieben, treffen sich beide Gruppen wieder im Plenum und stellen sich die herausgefundenen Lebensregeln gegenseitig vor. In dieser Phase des Spiels zeigt sich, wie schwierig es ist, doch relativ einfachen Lebensregeln auf die Spur zu kommen und vor allem danach zu handeln." Soweit ein Auszug aus den Leitlinien des Rollenspiels. Die Sprache spielt bei dieser Übung keine groáe Rolle. Vielmehr geht es um nonverbale Kommunikation und darum, sich möglichst gut in eine Kultur hineinzuversetzen. Bei der Auswertung in unserer Gruppe - ich gehörte der Kultur der Rantaba an - wies ein schwedischer Teilnehmer darauf hin, daá es im Schwedischen, ein deutsches Wort gebe: Ego-Gesell-schaft, das die Rantaba-Kultur treffend charakterisiere. Weiter sagte er: "Ich spiele gern einen Vertreter dieser Kul-tur, bin es aber nicht gern, sehe zu-gleich aber, wie schnell ich darin bin, so zu sein". Ein anderer Teilnehmer unterstrich, wie wichtig es sei, ab und zu innezuhalten und das eigene Han-deln zu reflektieren. Birgit Dobrinski Wenn der Körper spricht und das Herz hört... Thierry Husser ist Regionalleiter des CVJM im Elsaá, Frankreich, und engagiert in der Gruppe junger Ökumenikerinnen und Ökumeniker in Europa. Unter dem Titel "Körper und Versöhnung" bot er einen Workshop im Peace House an, in dem es lebende Statuen gab... Wir waren fünfzehn Personen in dem kleinen Saal mit kahlen weiáen Wänden. An diesem hellen Ort mit glänzendem Parkettfuáboden lieáen schauspielerische und körperliche Übungen die einzelnen Versöhnung
Unter den Personen aller Alters-gruppen und unterschiedlicher kul-tureller wie nationaler Herkunft lösten sich die Sprachbarrieren auf. Mittels einer non-verbalen Kommunikation drückten die TeilnehmerInnen tiefemp-fundene Gefühle und tiefe Mensch-lichkeit aus. In dem kleinen Saal mit den weiáen Wänden nahm echte Begegnung und echtes Mitein-anderteilen Gestalt an. Das geschah in Graz, an einem schönen Nachmittag im Juni 1997: ein Schritt auf dem Weg derer, die sich zuerst einander zugewandt haben, bevor sie ihre Schritte anderwärts lenken - reich, leicht und leuchtend. Thierry Husser Organisator dieses Hearings unter dem Dach des Peace House war der Österreichische Zweig des Inter-nationalen Versöhnungsbundes (IFOR). Schon beim Betreten des Minoritensaals spürte man den besonderen Charakter dieser Veranstaltung: ein leichter Weihrauchgeruch durchzog den Raum, die einzelnen Sprecher saáen an einem langen Tisch, der mit Blumen und Blüten geschmückt war, und trugen zum groáen Teil Gewänder und Kopf-bedeckungen ihrer jeweiligen Kultur und Religion. Der Moderator, Dr. Kurt Remele, verlas ein Gruáwort von Kardinal König (Wien) und übermittelte seine Segens-wünsche. In seiner Einführung stellte Remele fest, daá sich Anhänger verschiedener Religionen jahrhundertelang gegenseitig bekämpft haben und daá gerade religiös motivierte Menschen oftmals die intolerantesten Fanatiker sind. Gleichzeitig betonte er, daá aus den einzelnen Religionen aber auch oft entscheidende Impulse kamen, die Schritte zur Versöhnung einleiteten und zum Dialog führten. Dann erteilte Remele das Wort an den ersten Sprecher. Islam Ebenso sei die Rolle der Frau eine Frage der Exegese und der Herme-neutik, wobei Balic bedauerte, daá die historisch-kritische Methode in der islamischen Theologie noch nicht ent-wickelt sei. Die Welt habe sich ge-ändert und die Frau sei heute gleich-berechtigt und gleichwertig. Die Be-schneidung der Frau sei nicht im Koran begründet, sondern entstamme der Überlieferung, der zweiten, ergän-zenden Quelle neben dem Koran. Buddhismus Der Begriff Versöhnung, sagte er, klinge wie ein Kompromiá. Religion könne man aber nicht als Kompromiá leben, vielmehr könne man nur ein religiöses Leben führen. Nun gebe es jedoch einige, die ein weltliches Leben innerhalb dieser Religion führten und von daher gebe es viel Gewalt, die überhaupt nichts mit der Religion als solcher zu tun habe. Zu Versöhnung komme es dann, wenn der oder die einzelne danach strebt, die wahre Religion zu erlernen und die Aufrich-tigkeit und die Barmherzigkeit aufrecht-zuerhalten. Die individuelle Aufrich-tigkeit sei die Lösung des Problems. Buddha lehrte, daá jede Person in ihrem Wesen vollkommen ist und daá jedes Lebewesen vollkommen ist. In der Kindheit erfahrene Liebe gebe Sicherheit für das ganze Leben. Empfinde man Mitleid für ein anderes Lebewesen, bliebe kein Raum mehr für Eifersucht, Neid, Gier, Furcht und Haá. Diese menschlichen Schwächen gelte es im Sinne es Buddhismus durch Erleuchtung umzuwandeln, und am Ende gebe es keine Gewalt mehr.
Judentum Hinduismus Im Hinduismus wird die Reinheit des Geistes betont, die durch Meditation, Yoga, Gebete und Askese erreicht werden soll. Zuerst geht es um den inneren, danach um den äuáeren Frieden. Nur durch Selbstlosigkeit ist ein wahrhaft gewaltfreies Leben möglich. Totale Selbstlosigkeit ist nur durch mehrere Geburten zu erreichen. Mahatma Gandhi hatte sie erreicht. Es gibt keinen absoluten Frieden, solange Gut und Böse nebeneinander existieren. Das Ziel der Gewaltlosigkeit ist die Erlösung, in der Sprache des Hinduismus: das Nirwana. Abschlieáend brachte Kundu ein Zitat Krishnas, Böses nicht mit Bösem zu vergelten, sondern Gutes zurückzugeben und unterstrich die inhaltliche Nähe zur christlichen Ethik. Christentum Die meisten Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Hearings hätten sich im Anschluá an die Ausführungen der Sprecher eine Diskussion ge-wünscht, die jedoch aus Zeitmangel nicht möglich war. Es ist offensichtlich, daá diese Veranstaltung äuáerst fragmentarisch und für viele letztlich unbefriedigend war und viele offene Fragen zurückgelassen hat. Andererseits war sie ein Mosaikstein innerhalb des Prozesses interreligi-ösen Dialogs, der durch das Hören aufeinander, das Erkennen von Gemeinsamkeiten und den Abbau von Vorurteilen letztlich auch der Über-windung von Gewalt dient. Birgit Dobrinski "The Bridge" (Die Brücke), ein "Theaterstück mit Musik", wurde an fünf aufeinanderfolgenden Abenden im Peace House aufgeführt. Der Autor, Stephen Tunnicliffe, schreibt über das Stück: Trotz romantischer Ideen von Inspiration oder "der Muse" begrüáen es die meisten Schriftsteller , wenn sie die Gelegenheit bekommen, etwas zu einem speziellen Anlaá zu schaffen. So freute ich mich, als der Geschäfts-führer von Church and Peace sich einverstanden erklärte, mich damit zu beauftragen, ein Stück für die Zweite Europäische Ökumenische Versamm-lung in Graz zu schreiben. Als Mitglied des Vorstands von Church and Peace hatte ich bereits Erfahrung darin, für Church and Peace zu schreiben: In dem von uns gestalteten Gottesdienst anläálich des Deutschen Evange-lischen Kirchentags 1995 in Hamburg hatten wir eine kurzes Moralitätenstück über St. Martin von Tours integriert, das wir mit befreundeten Amateur-schauspielern mit einem Minimum an Proben in deutscher Sprache auf-führten. Nichtdestotrotz stieá "Martin and the Sword" (Martin und das Schwert) auf ein positives Echo, das dann zu der Entscheidung führte, für Graz ein neues Stück zu schreiben. Dies war nun ein weitaus kühneres Unternehmen; das Publikum würde international sein und das "Theater" ein gediegener barocker Konzertsaal im Stadtzentrum. Mir war klar, daá das Stück so professionell wie möglich werden sollte, d.h. soweit es die knappen finanziellen Mittel als auch andere Beschränkungen zulassen würden.
Vor zweihundert Jahren gab der Eisenfabrikant Abraham Darby, ein Quäker, die groáe Eisenbrücke in Auftrag, die der Ironbridge Gorge ("Eisenbrückenschlucht") in Shrop-shire, England, ihren Namen gab. Dies war das Symbol, das ich brauchte; denn was ist Versöhnung anderes, als das Bauen von Brücken? Visuell müáte unser zentrales Bild die Eisenbrücke selbst sein. ... Das Stück müáte kurz sein; dennoch müáte es "echte" Menschen in einer erkenn-baren Konfliktsituation zeigen. Es müáte auf irgendeine Art und Weise deutlich werden lassen, wie schwer es ist, wahre Versöhnung zu erlangen. Schlieálich sollte das Stück bei den Zuschauern eher Fragen hinterlassen als fertige Antworten liefern. Da wir vor einem internationalen Publikum spie-len würden, wäre es notwendig, den englischen Text mit anderen Kom-munikationsmitteln zu ergänzen. Da ich aus einer Musikerfamilie komme und selbst Musiker bin, war es nahe-liegend, Musik zu wählen, Musik zu-sammen mit ihrem sichtbaren Aus-druck, dem Tanz." Für dieses unerläáliche Element konnte ich die Dienste meiner Frau gewinnen, der Musikerin und Komponistin Hilary Tunnicliffe. Ich beschloá, das Stück vor zwei Jahrhunderten in einem nichtgenannten europäischen Land spielen zu lassen und einen Konflikt zwischen einem wohlhabenden, land-besitzenden Eisenfabrikanten und einer Schar umherziehender Zigeuner darzustellen. Wie sich herausstellte, war die Wahl meines Themas passend. Durch das Zentrum von Graz flieát der Fluá Mur, weshalb es viele Brücken gibt; zudem haben die Bewohner von Graz in letzter Zeit Erfahrung aus erster Hand mit Zigeunern gemacht, und zwar eine nicht unbedingt positive. Hinzu kommt, daá das Thema von Land- oder Staatenlosen im heutigen Europa mit seinen Millionen von Obdachlosen sehr lebendig ist. Unsere an eine Leinwand geworfenen Dias am Schluá des Stückes zeigten zeitgenössische Fotografien von Flüchtlingen. Das Manuskript und die Noten werden in Kürze für Interessierte erhältlich sein, so daá ich nicht näher darauf eingehen will. Die Erfahrung von Graz war für mich lehrreich. "The Bridge" Foto: Stephen Tunnicliffe war, wie ich glaube, als Stück einzigartig darin, extra für die Grazer Versamm-lung geschrieben und bei diesem Anlaá aufgeführt worden zu sein. Im allgemeinen sind solche Versamm-lungen Reden, Diskussionen und Treffen gewidmet; solche "kulturellen" Programmpunkte wurden vermutlich von den meisten Delegierten und Teilnehmern als Rand-programm wahr-genommen, als eine Art Ablenkung nach dem ernsten Geschäft der Versammlung. Ich war froh zu ent-decken, daá man uns unter "Work-shops" aufgeführt hatte. Es war unsere Absicht, das Thema der Versammlung auf einem etwas direkteren Weg darzustellen. Wir wollten unterhalten, natürlich, aber die Menschen auch emotional anrühren, wie Kunst, vielleicht allein die Kunst es vermag. Ich hoffe, daá es uns ein wenig gelungen ist, sowohl die Atmosphäre des Peace mitzuprägen als auch bei den Zuschauern neben allem Reden dar-über eindrückliche Bilder von dem zu hinterlassen, was Versöhnung wirklich ist. Das Theaterprojekt "Die Brücke" war in mehrerer Hinsicht ein Beitrag zur Ver-söhnung. Es verkörperte den Geist der Graz-Versammlung in einer greifbaren Art und Weise, wobei die Betonung eher auf den Schritten in Richtung Versöhnung lag als auf der Erreichung dieses Ziels. Zunächst einmal - und dies war für mich als Mitspielerin ganz wichtig - war unsere Theatergruppe eine ganz bunt gemischte. Wir muáten lernen, uns einander zu vertrauen und zuzuhören; jeder von uns war gefordert, Verant-wortung zu übernehmen und jeder wuchs mit dieser Herausforderung. Unter dem Druck von Zeit und Intensität erfuhren Temperamente Belastungsproben und wurden Kon-flikte gemeinsam angegangen, und letztlich fühlten sich viele von uns durch die gegenseitige Hilfe be-reichert. Daá die österreichischen Kinder sich so problemlos in unsere englische Gruppe einfügen lieáen, ist ein Teil der Versöhnung, die das Projekt mit sich brachte. Wir hatten viel Spaá! Dann waren da die Aufführungen selbst: Menschen vieler verschiedener Nationalitäten saáen nebeneinander und teilten dasselbe Erlebnis des Stücks - wenngleich mit hoffentlich ganz persönlichen Reaktionen. Es war eine Art Gemeinschaft, in der wir wie beim Brechen des Brotes in unserer Zerbrochenheit versöhnt wurden. Die zerbrochene Menschlichkeit wurde durch die zerbrochene Violine symbo-lisiert. Am Ende des Stücks wurde der Blickwinkel der ZuschauerInnen äuáerlich mittels der UN-Dias erweitert, die Flüchtlinge aus weit entfernten Teilen der Welt zeigten; diese Menschen wurden, wenngleich eher unbewuát, mit in unsere Gemeinschaft hineingenommen. Natürlich bestand das Ziel darin, Menschen zu inspirieren, sich Ge-danken zu machen über Themen wie Flüchtlinge, Vorurteile, Ungerech-tigkeit, die Notwendigkeit für Versöh-nung in unserer Welt usw. ... Ich bin sicher, daá manche gegangen sind mit Bildern in ihren Gedanken, Liedern und Worten in ihren Ohren und Asso-ziationen, die die Saat säen und die Arbeit für Versöhnung gedeihen lassen werden. Wir können sicherlich zugeben, daá dieses Projekt ein Erfolg war! Sarah Dodds
Vier junge Leute aus Nord-Ossetia, Ingushetia und Chechnya im russischen Nord-Kaukasus kamen auf Einladung von "Ohne Rüstung leben" nach Graz, um im Peace House mittels Fotos und Hearings über die Spannungen und Hoffnungen ihrer Nationen heutzutage zu sprechen. Ihre Präsenz als Nichtchristen in einer primär christlichen Versammlung war für mich sehr bereichernd. Ich begrüáte ihre frische, unkon-ventionelle und begeisternde Art. Ich weiá nicht, was und ob überhaupt etwas dabei herauskommen wird, doch ich hoffe, daá Chris und ich darauf im Blick auf die Friedensarbeit in ihrer Region aufbauen können, wenn wir sie später im Laufe des Jahres bei ihnen zu Hause besuchen werden. Weiterhin hoffe ich, daá die bei den Hearings Anwesenden von diesen mutigen Menschen angerührt und angeregt wurden. Das für mich inspirierendste Ereignis im Peace House war die Meditation am Samstagmorgen, bei der sich ein buddhistischer Gong, ein jüdischer Gebetsgesang, hinduistische und muslimische Gebete sich mit christlichen Stimmen mischten. Mir wurde plötzlich klar, daá hier alle meine spirituellen Sehnsüchte zutiefst berührt wurden. Ich wuáte, daá ich am richtigen Ort war. Diese gemeinsame Meditation all dieser unterschiedlichen Traditionen war für mich wie das "common memory" (gemeinsames Andenken), über das Ruben Richards so bewegend sprach, als er uns von der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika berichtete.
Peter fügt hinzu: Die Hearings im Peace House und die Lebendigkeit des Ökumenischen Dorfes waren für mich die Höhepunkte von Graz. Viel zu verdanken habe ich Gordon Matthews für seine engagierte und gewissen-hafte Verwaltung des Peace House sowie dem Internationalen Versöh-nungsbund für seinen anregenden Beitrag und die Organistion zahlreicher Veranstaltungen dort. Roswitha und Peter Jarman Am Abend des 16. Juni trafen sich sechs Personen aus Osteuropa, um zu einer Pilgerfahrt per Fahrrad von Budapest nach Graz aufzubrechen. (Drei weitere Teilnehmer, die wir erwartet hatten, muáten absagen - in erster Linie aufgrund von Visa-problemen.) Die Ursprungsidee bestand darin, daá jeweils eine Person pro osteuropäischem Land und unterschiedlicher Kirchenzugehö-rigkeit mitfahren würde, um auf unserer Fahrt - trotz der bestehenden Unter-schiede zwischen uns - ein praktisches Zeichen der Versöhnung zu geben. Es war eher eine Mission als eine Radtour. Unterwegs trafen wir viele verschiedene Gruppen, Christen und Menschen am Rande der Gesellschaft: Obdachlose, [sog.] Zigeuner, Geistig-behinderte und Kinder in staatlicher Obhut. Wir hatten bereits Kontakte mit denjenigen, die viel für die "Armen" tun und konnten ihnen gegenüber unsere Achtung für ihre Arbeit ausdrücken und sie ermutigen. An den verschiedenen Orten hinterlieáen wir eine besondere Flagge, die an die Notwendigkeit erinnern soll, eine friedliche Konfliktlösung zu suchen. Oftmals geschah es, daá wir mit den Menschen in tiefe Gespräche über Versöhnung gerieten. Wir hatten ein Buch dabei, in das sie Botschaften und Gedanken zu diesem Thema hinein-schreiben konnten. Es gab andere Orte, wo wir einfach zusammen spielten. Es zeigte sich, wie es Men-schen beruhigen kann, sich zu entspannen und zusammen zu lachen, um dann festzustellen, daá die Span-nung verschwunden ist. Einmal hatten wir die Gelegenheit, mit jungen Leuten einen Workshop durchzuführen. Aber wir vergaáen auch die kirchliche Hierarchie nicht, sondern besuchten sie, um Segen für unser Pilgerfahrt zu erbitten. Unterstützt wurden wir von zahlreichen Fahrrad-Pilgern, die sich uns auf unserem Weg anschlossen. So fuhren wir am ersten Tag von den insgesamt 70 Km nur fünf Km allein. Wir trafen uns auch mit der Presse. Das war wichtig, um sie über die Zweite Europäische Ökumenische Versamm-lung zu informieren. Ich hatte die Gelegenheit, in einer Nachrichten-sendung des Fernsehens und mit Reportern von vier Lokal- und einigen Nationalzeitungen zu sprechen. Bei meiner Rückkehr aus Graz wurde ich von mehreren Radiosendern und einigen Zeitungen eingeladen, von der Ökumenischen Versammlung zu berichten. Alles in allem war es eine groáe Herausforderung, täglich rund 70 bis 80 Kilometer zu radeln und vielen Menschen zu begegnen. Wir haben auch viel über uns selbst gelernt - wie wir z.B. reagieren, wenn wir uns verfahren haben, zu spät kommen, zu wenig Schlaf hatten, bei strömendem Regen fahren und unsere eigenen Probleme lösen muáten ... Unser eindrucksvollstes Erlebnis war folgendes: In Balatonfuzfo sind die Leute, die wir erwartet hatten, nicht gekommen. Es waren nur vier, als wir, wie immer mit vielen Kerzen und Gitarrenbegleitung, unseren Gottes-dienst begannen. Eine Gruppe von jungen Männern im Alter von 15-20 Jahren in staatlicher Obhut waren in der Nachbarschaft auf Urlaub. Vom Kerzenschein, den Gitarrenklängen und dem Singen angezogen, kamen sie in die Kirche. Als wir das sahen, luden wir sie zu einem Gespräch ein, bei dem wir in erster Linie ihnen zuhörten.
Und während der Mahlzeit sah ich, daá einer von ihnen das saftige Fleisch-gericht mit einer Gabel aá. Ich verstand: Sie besaáen nur acht Löffel, doch weil ich da war, waren wir neun und deshalb gab mir einer von ihnen seinen Löffel. Ich muá zugeben, daá mir noch nie solche Freundlichkeit und Aufmerk-samkeit entgegengebracht wurde wie dort in dieser Gruppe...von Menschen, die man normalerweise in eine vorge-fertigte Schublade steckt und mit einem Etikett versieht... Nun ist unsere Pilgerfahhrt zuende, doch unsere Mission geht weiter. An vielen Orten werden wir wieder erwartet. Nachdem die Menschen uns ihre Probleme mitgeteilt haben, möchten sie nun auch ihr Leben mit uns teilen... Das allergröáte Erlebnis bestand darin zu sehen, daá der Wunsch zu lernen, wie man in Frieden leben kann, stärker ist als jemals zuvor. Erzsébet Zsoldos Die Absicht des Hearings "Kriegs-dienstverweigerer: Kriminelle? Träu-mer? Helden?" bestand darin, Friedensgruppen aus Ost- und Westeuropa zusammenzubringen. Or-ganisiert wurde das Hearing, das im Peace House stattfand, von IFOR, Pax Christi International und BOCS Foun-dation. Zeugen und Experten beider Seiten teilten ihre Sichtweise im Blick auf das Thema mit oder berichteten über ihre Erfahrungen in der Friedens-arbeit. Die Veranstaltung sollte ein Zeichen der Solidarität zwischen europäischen Friedensgruppen sein. Zugleich stellte sie den Beginn einer Kampagne in Osteuropa dar, die sowohl Kirchen als auch Nicht-Regierungsorganisationen einschlieát und sich für die Einführung und/oder Verbesserung eines Zivildienstes in Ländern der Region einsetzt, wo Kriegsdienstverwei-gerung noch nicht als eine Möglichkeit anerkannt ist, "für den Frieden zu kämpfen". Katalin Simonyi 2. Europäische Ökumenische Versammlung, Graz 1997 "Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieáe zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen" (Jesaja 2,4). Wir als VertreterInnen christlicher Denominationen und Friedensgruppen möchten: Der Appell an die Kirchen fordert, daá BOKOR, Juni 1997
Ein Gespräch mit Pastor Christian Hohmann über die Impulse von Graz. Welches waren Ihre stärksten Erlebnisse auf der Ökume-nischen Versammlung in Graz? Das Thema hieá "Versöhnung". Wie war Ihr Eindruck im Blick auf das Miteinander der Kirchen in Ost und West? Die Veränderungen seit 1989 haben viele Menschen in Osteuropa in ihrer gesamten Existenz verunsichert. Sie stehen vor wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen, die wir uns kaum vorstellen können. Diese völlig unterschiedlichen Ausgangs-situationen sind im Blick auf das Miteinander der Kirchen in Ost- und Westeuropa nicht zu unterschätzen. Hinzu kommt die unterschiedliche Denkweise zwischen orthodoxen und nichtorthodoxen Kirchen. Das betrifft vor allem das Verständnis von Kirche und religiösem Leben. Beispielsweise ist es in orthodoxen Kirchen nicht üblich, auáerhalb der eigenen Gemeinde am Abendmahl teilzu-nehmen. Deswegen ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt falsch, die Frage der Abendmahlsgemeinschaft zum Prüfstein der Ökumene mit den Orthodoxen machen zu wollen. Welche Impulse können von der Versammlung im Blick auf die Kirchengemeinde in unserer Region ausgehen? Zweitens müssen wir unser gesellschaftspolitisches Engagement als Konsequenz unseres Glaubens und unserer Verantwortung vor Gott begreifen. Die Schluábotschaft von Graz nennt eine Reihe von Aufgaben, die wir uns als Kirchen in Europa für die nächsten Jahre vorgenommen haben, z.B. alle Formen von Gewalt, ins-besondere gegen Frauen und Kinder, zu ächten. Keine Sofortlösungen, aber Wege der Heilung Aus dem Netz Schon in den Eröffnungsreden wurde klar zum Ausdruck gebracht, daá "Versöhnung eine groáe und schwierige Aufgabe ist, die wir allein von dem gestorbenen und auferstandenen Christus lernen können" (Kardinal VIK, Präsident des Rates der katholischen Bischofskonferenzen Europas). "Wir können die Einheit der Kirchen und der Menschheit voranbringen, wenn wir uns von dieser Gabe der Versöhnung in unserem Alltag, im Leben unserer Kirchen und unseres Kontinents leiten lassen." (aus der Schluábotschaft) Das gemeinsame Morgengebet und die Bibelarbeiten schmiedeten unsere Einheit in Christus und lieáen uns in der Tiefe den Weg der Versöhnung gehen, der in den weiteren Begeg-nungen und in den Gesprächen des Tages seine Fortsetzung fand, begünstigt durch eine sorgfältige und gute Organisation. Die Delegierten der Mitgliedskirchen der Konferenz Europäischer Kirchen und der CCEE arbeiteten an Texten mit dem Ziel zu formulieren, was sie gemeinsam den europäischen Kirchen als nächste Schritte in den sechs Themen-bereichen der Versammlung empfehlen wollten: die Einheit der Christen, der interreligiöse Dialog, Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, und die Beziehungen Europas zu den anderen Regionen der Welt. Es ging darum, um eine bestimmte Formulierung oder ein Anliegen zu ringen oder für ein spezielles Anliegen einzutreten, damit es in die Vorlage aufgenommen wurde. Denn diese Texte sollen der kirchlichen Hierarchie dazu dienen, die Arbeit der Basis-gruppen zu stützen. Mir erscheint aber schwierig, die Ergebnisse der Texte an den Ergebnissen der Ersten Öku-menischen Versammlung in Basel 1989 zu messen und dann als Rückschritt oder Fortschritt zu bewerten, zumal sich der europäische Kontext sich seit 1989 grundlegend verändert hat. Die Versammlung in Graz brachte vielen Teilnehmenden das starke Erlebnis erkennbarer Gemeinsamkeit, das die Basis schafft, gemeinsam vorwärts gehen zu können: Beispielsweise bereitete ein Bischof (vielleicht zum erstenmal) gemeinsam mit einer reformierten Theologin eine Bibelarbeit vor, die sie dann auch gemeinsam hielten. Oder es war in diesen Tagen möglich, um Mitternacht mit einem Bischof ein Glas zu leeren, der der eigenen Kirche die Rückgabe ihres Gebäudes verweigert... Eine solche Versammlung ist nicht dazu da, Sofortlösungen zu finden. Vielmehr geht es darum, in die Tiefe des Herzens zu hören. Der nicht-alltägliche Rahmen hilft möglicherweise, verschiedenen Kirchen eines Landes neue Wege zu entdecken, die gemeinsam gangbar sind und wirklich von ihrer lokalen Realität ausgehen: In einem Land mag dies die umstrittene Frage des Proselytismus sein, in einem anderen die Gewiáheit, daá man einen Bannfluch aufheben sollte; in einem dritten wird man den Weg der Heilung damit beginnen, daá man ein Stück Kirchengeschichte neu und jetzt gemeinsam schreibt und um Ver-gebung bittet für ein Ereignis, das noch eine schmerzliche Belastung darstellt. In einem anderen Kontext wird es zuallererst um das Verbinden der allerneuesten Wunden gehen, die z.B. ethnische Konflikte geschlagen haben. Als Angehöriger der Roma oder als ein verstrahltes Kind von Tschernobyl in einer europäischen Kirchenversamm-lung zu Wort kommen, ist ein Erlebnis! Der Wert einer solchen Versammlung besteht nicht im schriftlich fixierten "Resultat", sondern in dem, was im Gebet, im Dialog, in den Begeg-nungen und im gemeinsam Erlebten zur gegenseitigen Ermutigung beitrug, zum Umdenken anspornte und zum Bewuátsein brachte, daá der Weg bis zu einer vollen Versöhnung in Europa nicht einfach und noch weit ist. Wenn wir Christen Salz der Erde Europas sein wollen, "dürfen wir nicht mehr mit sich widersprechenden und in gegen-sätzlichen Stimmen zu hören sein. Lassen wir uns vielmehr tragen von einer inneren Erneuerung zur Einheit, die Christus schon geschaffen hat. Unsere Einheit in Ihm, dem Versöhner, ist eine der wesentlichen Bestandteile unserer Eigenschaft als Salz der Erde", sagte Seine Heiligkeit Karekin I., der Katholikos aller Armenier. S_ur Irmtraud, Grandchamp |